Crépuscule
9. August 2011

Ramadan kam mit der narkotischen Wirkung sonnengereifter Tage. Eine Besinnung auf die Endlichkeit, schöpft man die Tage aus dem Brunnen, Mägen entfalten sich in Bedachtsamkeit.  Mit seiner Ankunft waren die Kinder auf dem Sportfeld erschöpft hinter der Ziellinie zusammengesunken. Wir hatten durch den Jubel des Regens hindurch applaudiert, während die Energie von Läuferfüssen durchnässte Erdklumpen in die Luft gerissen hatte. An den gelben T-Shirts leuchteten die gelben Flecken als triumphierende Beweise des Ehrgeizes. Der Spätnachmittag ankerte im Hof der Schule mit klebrigen süßen Reis und das Aroma der Durianfrucht, während der Ballast der Medaillen die Kinder dem Abend entgegen fliegen ließ. Im Schatten der Bäume fingen sich verirrte Strahlen, die auf den Prismen freundlicher Antlitze in ihre Spektralfarben aufgingen. Die Energie des Lachens rennender Kinder half den Tag zu verlängern, das milde Licht ein wenig länger an uns zu binden, als es hing, verspielt, auf glücklichen Gesichtern und zwischen den Fußballspielern wandelte.

So sein wie ein Sommertag einen Sommertag sieht. In der Luft schwirren, wie ein hohes Zirpen. Die alltäglichen Verrichtungen schwingen die Stunden zur Gelassenheit hin, bis zur letzten Aufwallung des Pulsschlages der Sonne. Man nennt das nicht wirklich dösen, wenn man sich bewusster selten wahrgenommen hat. Morgens verteile ich Streicheleinheiten, der Besen pendelt dabei über die Hanfmatten, wie um die verbleibende Zeit festzustellen. Die letzten zwei Wochen als eine einzige langanhaltende portato langsam in die Leere gleitende Note, in der man in fröhlicher Wehmut rückwärts zu schwimmen beginnt. Am Grund: Die Stille lauer Nachmittage, ein Lautenspiel, das wie ein neu entdeckter grüner Trieb im Garten flüchtig berührt, in dem sich der geglückte Ton schaukelnder Kleeblätter erklärt.  Was ist der Kern lächelnder Schwermut? Die augenblickliche Betrachtung meckernder Ziegen, die die Last ihrer Pflöcke nicht zu bemerken wissen, das Klickern der Boulekugeln, ein Muster aus Furchen, mit dem Rechen in die Erde gezeichnet, so grundlos wie Kornfeldkreise. Das offene Blühen der Tage, ihre Sprache in ruhendem Zugegensein schweigend, sie weltet be-lebt, ent-spannt im Ende.

In Dunkelheit aufzustehen, mit verändertem Wirklichkeitsgefühl. Die Nacht durch-stimmt von intensiver Tonalität. Eine dickflüssige zerflossene Stofflichkeit, ungerichtet im Nichtraum wesend. Dann: das Stampfen und Zischen der Ventile, dass den Kosmos durchwirbelte, das grellende störende Anfluten der Strahler. Der Lastkraftwagen rollte wie ein Mondfahrzeug über die Körperlosigkeit der Fahrbahn. Es war fünf Uhr morgens.

Die Garnelen ergossen sich über den Tag, sie versammelten die Stunden in schweren Körben. Am Vormittag vereiste die Klaustrophobie des Kühllasters die Zeit. Millionen von winzigen blassen Körpern, im Eis zitternde Leichen, die die Männer mithilfe riesiger Schaufeln verschütteten. Bevor die Flut zierlicher Leiber auf die Werktische schwimmen würde, dämmerten  Bang Hed und ich am Mittag im Schatten auf den riesigen Deckeln der Wasserbehälter. Die Garnelenfarm: Wie ein riesiges unnützes leeres Schwimmbecken. Gespannte Netze, die riesige Beben an die Wasseroberfläche zogen. Ein wildes, ein glänzendes rosa Zucken, eine Landschaft verzweifelter nackter Rümpfe, deren schwarze Knopfaugen leer und stumpfsinnig starrten. Wolken gewaltigten sich zu körperhaften Drohungen, die uns unter die Zelte peitschten. Am Draht kämpfte sich zu den Glühbirnen: Ein kraftloses Licht. Die Finger der Arbeiterinnen gruben sich wie eine mechanische Körperschaft durch das zappelnde elliptische Getier. Eine Körperschaft, die das Warten in einen kollektiven Betriebsausflug verwandelte, mit Picknickdecken, Bingo spielen und riesigen blubbernden Töpfen Currys.

Schließlich: mein Körper, der sich dem sich herabsenkenden Lastkraftwagen überantwortete. Von seinem Rücken bestaunten wir das Heranrücken des Feierabends, der die Kinder von der Schule auf ihre Fahrräder hob. Wenn ich in die Luft gegriffen hätte, vielleicht hätten mich die Strommasten gekräftigt. Ich warf mich von der Ladefläche, schleppte einen müden Körper dem Klingeln der Kinderschreie voran.

Auf Koh Lidi welten die Wellen sanft gegen den taumelden Strand und zählten für mich leise verflossene Wasser. Der Abend strömte mit der ersten Dose Bier in den Körper, eine sachte Berührung der Blutbahnen. Die Finsternis bettete ein Feuer in den Sand. Die Köpfe atmeten schwer, so sehr wendeten sie sich dem Leben zu. In der Nacht tanzten wir uns in die kalte See, entwogen in der Strömung jeder Last.  Ich schlief mich in den Strand und erwartete so das Entschlafen eines nächtlichen Nieselns.

Am Morgen fühlte ich Sand in meinen Haaren, fühlte den Tag sich seiner Wesenhaftigkeit bemächtigen. Hinter einem kleinen Pfad fanden Olivier und ich Klippen, das weißliche Schimmern der Gischt, verströmt von den Düften der Felsen, rauschendes Sommergras, sich der Bewegung eines Windstoßes hingebend und ein Anbranden von Sehnsucht, dass ich in einer flüchtigen Farbabstufung des Blaus wiedererkannte. Wir kehrten zurück, dem Lauf der Flut folgend, so die die Abende in Kok Payom in der empfindsamen Regung des „Allãhu akbar“ hinaus glitten.

Das Kardiogramm Der Gefilterten Tage
19. März 2011

Zurückstolpern in die Regenschauer nach unserem Kurzurlaub in Songkhla. Home Sweet Home und nach unseren Exzessen, die Erde, die sich besoff. In den letzten Märztagen nach unserer Rückkehr sich zu dröhnte mit den Ausscheidungen des Himmels, sich den fetten Ärschen der Wolken entgegenstreckend.

In einer schalldichten Blase schwebt Kok Payom in Harmonie und Ruhe. Und jede Emotion verliert sich, schwächt sich ab, eingebettet in das Vakuum der Tage. Und „Bumm, Bumm“, die Monotonie des in Watte eingebunden Kardiogramm der gefilterten Tage, das unendlich langsame Sich Heben und Senken des in Watte verpackten Herzes. Verflüchtigt sich mit einem zarten Windstoß jede Suche nach Abenteuer, sanft abgefedert durch die Behaglichkeit der in den Himmel gemalten weißen Kissenlandschaften. Und man schwebt halb im Tag… Wo, ein Moloch an dem ich meine Kreativität auskotzen könnte?

Ich grub, um mein Herz zu versenken in der Arbeit.  Die Trieb wachsen zu sehen. Der Antrieb: Sprießen zu sehen: Seele und Setzlinge. Berstend aus der Erde, brechen die grünen Knospen. Ein rotes, rundes Glühen des Abends die Äste streift und die Palmen in Brand setzt. Wenn die Drachen durch die Lüfte reiten und die Kinder ihnen ein Lachen hinterherschicken. Die Leichtigkeit des Über-die-Felder-Rennens, in ihren Fäusten verwahren die Kinder ihre Leinen.

Überrannt von den Sprachen, die ich mir zu Lernen vorgenommen hatte, den Informationen, die ich anstrebte mir aneignen. My live honored productivity. Pas de temps pour se laisser tomber. Eingeklemmt zwischen den Nächten: Schreiben, Zeichnen und Lesen.

La vie quotidienne m’intimidait. Den Blast jedes Tages: Tonnen von Wasser, hervorgezogen am Morgen aus dunklen Tiefen. Running, running down my body. Nothing, that could wake me up. Und jeden Morgen aufs Neue. Der Besen, der die Überreste der letzten Nacht massakrierte…die Panik der Katzen.

Die Vormittage als eine Verkettung von Verwechslungen. 8:30 Uhr: Wenn die Kinder sich pünktlich in ihre Traumwelten flüchteten, zu denen ich seit langem den Schlüssel verloren hatte. Das Alter, das mich vom Spielplatz der Jugend gefegt hatte. Douter… Wo mich das Leben hingeführt hatte. In den Köpfen die sich ausbauenden Netzwerke akkumulierten Wissens , die das Lachen aus der Sprache der Heranwachsenden tilgen. Finally: Die Übersetzung des Glücks lesen wir in den Gesichtern unserer Kinder und nicht in den Vokabeltabellen der Schulbücher.

Anschlag um Anschlag flogen die Missverständnisse am Mittag in den Bildschirm. Messages leaving my Inbox. Always failed to describe… was passiert, was mit mir passiert. gab kao im Schatten des Baumes. Der müde Fluss der Gespräche… der retardierende Moment der zwölften Stunde, wenn man angenehm lasch im Raum hängt. Hechtend von Schatten zu Schatten. Und nur noch die Kraft haben unter der Sonne zu toben.

Wenn man vergisst, wo man gewesen ist, während des Blinzelns des Nachmittages, wenn man sich vergisst in einem Liedschlag einer Minute. Die verrauchten Kippen und abgefahrenen Boote als Grenzsteine im zeitlichen Niemandsland. Um vier Uhr: seine Träume aufschieben um dem Lärmen der Kinder Tribut zu zollen. Wenn die Fingerspitzen der Sonne sich am Horizont abtasten. Sich wappnend, die Luft vibriert unter dem Ansturm der Mücken. Après diner: Nachbarschaftshilfe, nicht steuerpflichtiger Eliteunterricht.  Für die verstrichenen Chancen und versäumten Talente. À quelque part: perdu.

Die letzten Augenblicke frisst die Nacht. Wenn man eintaucht in die schwarze Luzidität und treibt: im Auf und Ab der gedämpften Gespräche. Man dem Ein- und Ausatmen lauscht, dem Anschwellen der Stimmen. La nuit ne se muet jamais. Die Nacht kennt keinen Schlaf.

Bei jeder Rückkehr: show me a different face, tell me an other story. Eine Stadt durch den Filter der durchwachten Nächte: Trang. Das Wummern des Basses hallt nach im Hupen des morgendlichen Verkehrs. Die Vibration der Tunes, die die Füße zu ergreifen sucht. Ein Wunsch sich des Körpers bemächtigt. Slowly…die Menschen von ihren Bartischen losgerissen, letzte Bastionen der Vernunft im fiebernden Ozean. Let’s dance. What are you waiting for?! Die Stunden bis sich der Track entfaltet: totgeschlagen auf dem Nachmarkt. Zwischen den Ständen: the sweet taste of squeezed Strawberry. Und die Münder die sich zu Masken verziehen, wenn sich das Gift in deinen Blutbahnen niederlässt. Und pulsiert…

Eschige Zunbada (Part One)
15. Februar 2011

Aufbruch: Wie ich in Hast meine Klamotten zusammenraffte und die Aufgaben, die sich auftürmen, wenn man dem vie quotidien davoneilt und doch alles in Ordnung wiederfinden möchte. Die Kautschukplantagen, die unendlich weit die Landschaft bevölkerten, die sich nicht lichten wollen und jede weitere stellte eine nächste Unendlichkeit des Wartens dar, und die Uferlosigkeit auf der anderen Seite der Scheibe sprach von verlorener Zeit und der Ungeduld von versetzten Menschen.

Eine Reise zur Essenz des eigenen Seins. Weil die Pigmente einen verfolgen, will man sich im Spiegel nicht wiedererkennen. Und wie ich mich gerne in mein Schubfach eingesperrt hätte, doch irgendwo vergaß ich… And were is home anyway. Und wie ich Boden verliere, losing gravity, wie ich ziellos herum schwebe. Im Ozean meiner Persönlichkeit nur unbeantwortete Fragen aufwirbele. Und wo die fängt die Selbstaufgabe an?
Wie ich verlorenes wiederentdecke und anderes nicht wiedererkenne. Ist das hier ein Neuanfang? Oder doch nur Antiquariat verpackt in Rot, Weiß, Blau. Weil das Ambiente nur von Multikulturalität sprach. Nostalgie als fester Bestandteil der Einrichtung. Vertrautheit, die in alle Nischen kriecht, in die Korbsessel, die sonnengelbe Tapete. Because a notion of home is swinging in every Jazzsong leaving the speakers. Paralleluniversum am Bahnhof. Thailand als fakultatives Exil. Ein Leben mit gepacktem Koffer: Geboren in Israel, gestern die Niederlande, heute Thailand, morgen Burma: Maayan. Und ich erinnere mich nicht mehr worüber wir sprachen, nur an die Leichtigkeit mit der meine Zunge die englischen Wörter formte. Als wir unsere Ärsche an den Polstermöbeln abrieben und unsere Getränke auf Tische abstellten. Der Blick in meinen Espresso: ein kleines rundes Loch, das sprach von Heimat und der Gummizelle der eigenen Kultur. Was uns verbindet ist unser Beruf, ist eine verdeckte Sehnsucht, die bisweilen unsere Seele überflutet. Wir hockten um die Tische, wie die Brieftauben in der Fremde auf den Strommasten kleben. Unsere Welt am Draht. Es war in diesen Tagen, da die Hipster mit ihren Rennrädern das Café bevölkerten, dass ich Gefallen fand an dem Oszillieren zwischen Papayasalat auf dem Nachtmarkt und der minimal bitteren Süße des Mokkas. Und seiner Wärme, als er durch meine Kehle rann, wie eine Ansichtskarte von einem guten Bekannten.

Trang als wilde, laute, grobe, brüllende Bestie, wie jede thailändische Stadt aus dem Erdboden gestampft. Doch zähmbar, selbst mit Fahrrad. Ich fühlte mich ein wenig neben mir, in die Nacht schüttelte mich ein leichtes Fieber. Auf dem bewaldeten Grün des Hügels wachten die Buddhas über der Stadt. Noch zu schwach für den Aufstieg.
Die Lautsprecherdurchsagen über abfahrende Züge am Bahnhof, wie sie an meine Ohren krochen, als unverständliche Wortfetzten. Und die Züge sprechen zu mir von Aufbruch und Reisen. Wo mich die nächten Schritte wohl hinführen?

Sie verschanzen sich auf den Inseln, gefangen in ihren Ressorts, zusammengepfercht wie in Gettos überfluten sie die Strände. Eine geschlossene Gesellschaft unter Palmen. Man steuert sie durch artifizielle Welten und künstliche Wirklichkeiten. Und sie bemerken ihre Entfremdung nicht. Smalltalk pronounced in bad English. Ihr Lachen zu laut, ihre Gespräche zu interessiert, ihr Gebärden zu ernsthaft. Ich gebe meinem eigenen Platzanweiser Rätsel auf: „An welchem Tisch darf ich speisen?“. Wenn ich mich beim Singen nach Buchstaben, beim Repetieren des immer gleichen Chorals seltsam deplatziert fühle. Wenn man immer aus sich selbst zurückgeworfen wird. Kein Hafen in Sicht mit einer ungelöschten Ladung, eine Last die brennt, die einen verbrennt. Die Einsamkeit unter Menschen. Essayer de trouver des réponses aux questions irrésolues dans l’abîme de mon bière.

Und zwischen flüchtigen Begegnungen, die Strände von Hat Yao: Die blutige Sonne, wie sie am Abend leidenschaftlich auf dem Schlachtfeld der Gestirne fällt. Der Dunst des Morgens, der die Fischerbotte in seinen nebeligen Schleier bettet. Ein neuer Tag der sich unter dem verrinnenden Sand der Tide entfaltet.

Seeking For… (Part One)
21. Januar 2011

Mittagshitze in Bang Bats Retaurant: über mir die Sonne, auf meinem Rücken kauert mein Bagpack. Ausbleiben der Schwerkraft. Wo noch Gewicht suchen, wenn man die Last der Frage „Was wartet auf mich?“ vergessen hat. Weiße Linien pressen sich das klebrige Schwarz des schmelzenden Asphalts. Der Blick verirrt sich im Flimmern. Befreit in der Anonymität der Straße, die Heimlichkeit meines Abschieds. Ich breche auf das Vakuum des Raumes zu zerstören, der Wille die Orte zu bevölkern mit persönlichen Assoziationen. Meine Reise: Bis jetzt nicht mehr, als ein unscharfes Satellitenbild, als weiße Linien, die inmitten einer leeren Landschaft hängen, oder Ziffern ohne Bezug (416, 406, 3005, 4184), denen ich und Chet mit dem Finger folgen. Drückende Schwüle, Wolkenbahnen, die langsam über den Himmel kriechen, wie verendete Schaffe. Nicht ein einziger Windhauch vom Meer. Nur der Ozean: ein einziger glatter blauer Spiegel und u seines Willen die welligen Falten auf Chets Stirn, sie sprechen von Sorge und Zweifel. Denn an Küste wallt ein undurchdringliche Grün und mein Plan, dem Gestade gen Süden zu folgen, bis zur Grenz auf dem dünnen Gummi meiner Flip-Flops bleibt eine Illusion. Ein Traum, von Autarkie, Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten, den im Sonnenschein verbleicht. Ich beklagte ihn nur kurz, wie er zu Grabe getragen wurde als Opfer dieses Tages. Der Fahrtwind in der Nase, bleibt immer noch die Zuversicht. Und sie benetzte meine Lippen, kalt und süß, toupiert mit klebrigem Reis und Erdnussstückchen.

 Brücken, Tankstellen, Biegungen… Erinnerungen als zufällige Momentaufnahmen, als eine triviale Diashow.

Das Wetter schreibt nicht gerne Prologe: Eine Welt vergeht innerhalb von Minuten. Nieselregen, Platzregen… Der den Rand säumende Schlamm fließt zu einer matschigen Brühe auseinander. Seek of friction. Ein in H2O broschierter Highway. Spießrutenlauf zum nächsten Unterstand. Der Puls des Adrenalins: Aufstöhnen, Aufschreien, Gejohle und Gelächter. Wenn sich schwitzige testosterongeschwängerte Körper umarmen mit der Kraft in Leder eingebundener Muskelstränge. Television aims for victims. Television rules the nation. Die Ergebnisse fällen ihre Urteile, benennen ihre Opfer. Feuchter Tabak in getrocknetem Schilfmantel. Mich erreicht mein Kaffee und anschließend werde ich herumgereicht. Die schwarze Ebene des Kaffees, wie sie aufhellt zu einem milchigen Weiß. Wie das Gestein der Himmelgebirge in leuchtenden Sprenkeln aufbricht und überflutet auseinanderbricht. Symbiose aus Blau und Schwarz, Verbindung von Wasser und Kohle in der Molekülstruktur des Himmels.

Meinen Weg fortgeführt auf der schnurgeraden Linie Grau. Auf der Straße steht noch Wasser, ein Spiegel goldener Reflektionen im letzten Licht des Tages. Und in ihren Gräbern liegen die Pfützen als blutige Tümpel. Am Straßenrand gähnen die schwarzen Öffnungen der Werkstätten und Shops. Doch als sachtes Parfüm liegt in der Luft der Geruch des nassen Asphalts.

Impression flatter mind. Jeder Streckenabschnitt al Projektionsfläche unserer flüchtigen Gedanken. Subjectivité, embrasse-moi. Das, welches mich umtreibt, umklammert, umstößt und die Umgebung, als Liaison von Erinnerung und Empirie im Geist. Und jeder Nachgeschmack leckt an der Zunge als Symbiose aus sense und thoughts.

Das Verstehen: Irgendwann verklingt jedes Tones Tag und oft ist die Komposition des Epilogs ein verwunderliches Kuriosum, eine sonderbares fatalistisches Pfeifen. Wenn man das Sich treiben nur zulässt. Wenn man das Sich Gehenlassen nur zulässt. Die Heimeligkeit der Familie. Seit langem eingeübte, einstudierte Choreographie zwischenmenschlicher Bezüge. Vertraute Beziehungskonstellationen. Die Wärme des Haues. Und wo ein Fremder zum Freund wird. An diesem Abend bleibt die Höflichkeit wie eine unsichtbare Wand im Raum stehen und der Geruch einer fremden Zudecke kratzt ein wenig in meiner Nase. Trotz allem: Wohlbehagen.

Uplifter
4. Januar 2011

Zwei Monate in Kok Payom ohne einen Break in der monotonen Melodie des Alltags. Der Rückfall in die europäische Angewohnheit, dass Leben kontrollieren zu wollen, dem Diktat des berechnenden Geist zu unterwerfen: ein schleichender Prozess. Gefangen wieder in gedachten To-Do Listen, jede Sekunde das Äquivalent einer Pflicht. Vom Frühstück bist zum Abendessen wird der Tag auf seine Berufung reduziert, auf jedem prangt zu Beginn der freudlosen Stempel „Aufgabe“.

Warum sich nicht einfach rückwärts fallen lassen in den Tag. Es wäre so einfach. Und immer fängt er dich behutsam auf und wickelt dich sachte in seine Stunden.

Reflexion, Reaktion, Revision: Das neue Jahr eine Gelegenheit seine Sendefrequenz zu justieren, das Aufsetzen meiner rosa Kontaktlinsen: völlig überflüssig. Just spin your UKW a little bit: Wenn du weniger rauschst, triffst du den Ton besser. C’est juste une question d’attitude.

Wenn ich in meiner Hängematte die Augen schließe, überkommt mich oft der Gedanke, ich befände mich auf einer kleinen Schaluppe. Bei Sturm wirft sie mich aus ihrer Annehmlichkeit – zum Glück. Gerüchte über das Anrollen eines Tsunami? „Unsinn“ winken die villager ab.

Und dann soll Weihnachten und dann soll Sylvester… Ich wundere mich, wie das möglich sei, wie die Zeit vorbeizieht, die Wolken: Große gemächliche graue Elefanten. Ich frage mich: „Wer hat den Schnee versteckt?“ Stattdessen bleibt das Wetter nasskalt dieser Tage.

Michael schneit kurz vor Weihnachten in Kok Payom ein, zerstört den trivialen Trott. Auf seinen Schultern ein Rucksack voller süßer festlicher Vorahnung, im Kopf einen fertigen Plan neuer Ideen zur Umsetzung. Ein Ruck kurz vor dem Rutsch.

Die Finger der Schatten der Kerzen an den Wänden, greifen nach menschlichen Körpern, ruhen auf einer Plastiktanne. Im gespendeten Zwielicht manifestiert sich eine kleine Gruppe von Menschen, sowohl Thais als auch farangs, die sich im Kreis um Tafeln Schokolade und Spekulatius versammelt hat. Und dann dürfen auch in diesem Jahr Geschenke in kindlichem Übermut von ihrer Glitzerfolie befreit werden. Leuchtende Augen, alle Jahre wieder und aus irgendeinem Grund beruhigt eine diese Kontinuität, als hätte sich nichts verändert innerhalb der letzten zwanzig Jahre. Am Ende des Abends: erfüllt von einem wohligen sentiment der Wärme, dass nicht der Wirkung von Michaels Aufgesetztem geschuldet ist. 

Pauline, Sophie, Jakob und ich: vier konzentrische Wellenkreise, die sich an den gleichen Stellen berühren, eingespielte Bewegungen und altvertrautes Gleichgewicht. Eine Dynamik, die durch die Ankunft der Freiwilligenurlauber zum Inselbesuch durcheinandergewirbelt wird. Eine Chance für Neuerung, der Aktionsplan liegt bereits ausgebreitet vor uns. Der salah füllt sich auf mit Leben, pumpt sich satt mit Energie. Press the red button. The new level is starting! Ich liege dieser Tage einstweilen krank im Bett, derweil scheint mein Wille das Einzige mir zugehörige, was sich noch nicht verflüssigt hat.

Das Land des Lächelns entschließt sich, während unseres Aufenthalts auf Ko Lidee im auslaufenden Jahr, sich noch einmal auf seinen Ruf zu besinnen: sich pellende Haut unter unseren Nägeln, Salzkrusten an unseren Badehosen und Sandkörner in unseren Haaren als Relikte unseres Aufenthalts. Der Geruch von Whiskey und Alkalimetalle verbindet sich in meiner Nase zum Konglomerat des letzten Moments in 2010. Über uns schwebt ein anderer Himmel, frei von Trübung: ein Meer aus tausenden kristallenen Perlen.

Urwald, Sandstrand, eine winzige grüne Ellipse, umgeben von blauer Negativfläche. „Pfatsch“, „Pfatsch“ schlappen unsere Flip Flops durch den Sand, Körner beim Abschuss unserer Fußballen auf sich selbst zurückwerfend. Und der letzten Seite dieses Buches folgt die erste Seite des nächsten,

und des nächsten…

Kok Payom: Der Ort, An Dem Deine Gedanken Wohnen
15. Dezember 2010

Was sind das für Orte, die wir Heimat nennen und die unsere Denken mit so vielen Empfindungen fühlt. Kok Payom: eine Unzahl an federleicht zerronnenen Tagen, in denen die Uhren zerschmelzen, wie auf einem Gemälde Dalís, und Zeit, dieser westliche Taktstock unseres Daseins zu einer fluiden Maße zerrinnt, in der sich der Tag, wen überhaupt noch gerade in Morgen, Mittag und Abend einteilen lässt, in Morgenzigarette, Unterricht, Lunch im Restaurant und den Beginn des Plärren des Fernsehers, aber ansonsten diese feste Dimension einfach aufhört zu existieren und jeder Tag seine Ewigkeit aus sich heraus entwickelt. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang liegen dreizehn Stunden, ein Raum der beansprucht gefüllt zu werden, zwischen Himmel, Sonne und Strand.

Hinter dem Restaurant von Ban Bat der kleine Pfad aus festgetretener Erde schlängelt sich zwischen den Hütten durch, Intimität des Alltags inmitten von Hühnern, Ziegen, Kindern und Greisen. Man lebt und stirbt hier noch zusammen. Der Küstenstreifen, ein dünnes endloses Band aus Sand, Jollen, die in der friedlichen Gischt dösen, Wellen, die leise ans Ufer plätschern. Die Fischreusen und liegengebliebene Industrieabfälle konnten meine Begeisterung nur bei den ersten Besuchen hemmen, zu tief bin ich mittlerweile mit diesem Ort verbunden. Tage habe ich hier lesend verbracht, meine Blogeinträge verfasst. Ich kenne die Stelle, an der die untergehende Sonne jeden Abend den Horizont streift. Ich weiß, um den Ort an dem sich die Fischer jeden Abend auf einer Steinbank versammeln und ihren Whiskey aus braunen Glasflaschen trinken. Noch lange nachdem auch das letzte Rot der Sonne verdrängt worden war von einer vollkommenden Finsternis hing ich hier mit Jakob meiner Vergangenheit nach. Die riesigen Palmen, die bedächtig ihre Köpfe im Wind schütteln, hochaufragend über den Reisfeldern, im Schatten eines Laubbaumes, ein gestrandetes Boot, dessen rot-grüner Anstrich langsam abzublättern beginnt.

Gleich neben unserer Schlafstätte, die auf halb über das Wasser hinausragt, kleine einfache Räume, die wenig mehr Platz bieten als für zwei Matratzen erforderlich ist, liegt ein Fischkutter brach im Schlamm, den die Niedrigtide auf ihrem Rückzug ausspuckt. Eine grüne Hängematte hängt schlapp in ihren Seilen, am Geländer trocknet farbenfroh noch klamme Wäsche. Am Ende des Bohlenweges scharen sich  bescheidene Fischerboote um den Steg zusammen, umringen, wie ein Kind seinen Vater, einen stabileren Kutter. Der Versammlungsraum selbst ist ein großer nach allen Seiten geöffneter Raum. Das Herzstück bildet ein Bücherregal aus schmalen dünnen Aststücken, in dem sich ungeordnet übereinander gehäuft allerhand bouqins und Dokumente anhäufen. Auf ihm thront der Fernseher, als ewig plärrendes Zeugnis der Unkultur der Spezies Mensch. Auf dem mit dünnen gewebten Matten ausgebreiteten Boden stehen jetzt am frühen Nachmittag leere lilafarbene Plastikkaffeetassen, leere Wassergläser, an den Rand voll gefüllte Aschenbecher, die verstreuten Steine eines umgeworfenen Jengaturmes, eine bedeckter mit Reis gefüllter Topf, im Schatten zweier Kissen dösen mehrere Katzen vor sich hin.

Kok Payom, das bedeutet sich dem ruhigen Strom des Alltags zu überlassen. Sich dem Vertrauten anheimzugeben, in wohlbekannte Gesichter zu blicken und vertraute Menschen zu grüßen, deren Lächeln so einnehmend und rein leuchtet und deren Gesicht so unberührt von Erbitterung strahlt. Eine innere Zufriedenheit ließt sich aus ihren Zügen, genügsam mit dem was sie besitzen, scheinen sie jedes persönliche Streben vergessen zu haben. Sie sitzen zusammen im Lebensmittelgeschäft von Ban Mod, schwatzend, essen in Fett frittierte Bananen, trinken zu süßen Kaffee und scheinen nicht den Wunsch zu haben, irgendwann einmal etwas anderes zu tun. Alles ist durchzogen von dieser Evidenz endlich wieder am richtigen Ort angekommen sein. Man ist froh Teil einer Gemeinschaft zu sein, verschenkt mit Freuden und zelebriert den gemeinsamen Müßiggang.

Und dann erkundigen sich die Leute: „Was macht du eigentlich“ und stellen damit eine Frage, die ich selbst nur unzulänglich beantworten kann. Natürlich könnte ich die unzähligen Male aufzählen, die wir im Mangrovenwald verbracht haben, Setzlinge mit Händen voll feuchter lehmiger Erde bedeckend, einen Pavillion im Rahmen eines Workcamps errichtend, der eine alternativen Schule, die die Kinder mit der eigenen Tradition in Berührung bringt, beherbergen soll. Natürlich könnte ich von meiner Tätigkeit als Lehrer berichten, der Strapazen auf dem Reisfeld, der Fütterung der Hühner und das tue ich dann auch allzu oft. Aber ist es dass, was meine Freiwilligenarbeit ausmacht. Oder ist es dass vielmehr ein erwidertes Lächeln, ein freundlicher Gruß, das gemeinsame Abendessen mit unseren Nachbarn, das verschmitzte Grinsen der Kinder, wenn sie beim UNO-Spielen mogeln. Gemeinsames Kaffeetrinken und das Teilen von Tabak als fakultativer Broterwerb.

Dharma Bums Strolling Arround In Southern Thailand (Part Two)
7. Dezember 2010

Von westlichen vermögenden bleichen farang überlaufen erweist sich Ao Nang am nächsten Tag als ausweglose Falle für Anhalter. Die wenigen Fahrzeuge, die ihre Geschwindigkeit für uns verlangsamen verweisen uns auf die in kurzen Abständen vorbeifahrenden Pick-up Busse. In Krabi haben wir kaum mehr Glück. In nächster Nähe zur Busstation quellen die Straßen über vor aufdringlichen Tuk-Tuk Fahrern, sonnenbebrillten braungebrannten Männern in roten Wesen, die einem schon aus weiter Entfernung ihr akzentbehaftetes „Where you go“ entgegen schreien, tadellos gekleideten Taxifahrern, deren Fahrzeuge kaum von Privatwagen zu unterscheiden sind. Am Abend gelangen wir schließlich, verschwitzt, müde und erschöpft zu einem winzigen Nationalpark, im Herzen der bewaldeten Provinz von Phang Nga, deren öde von mächtigen Felsen überschattete Provinzhauptstadt kaum ihren Namen verdient. Einsam, unentdeckt von den Massen an Billigurlaubern  liegt der Sa Nang Manora Forest Park abseits des Highways, am Ende einer Nebenstraße, die sich in Serpentinen in eine Talmulde schlängelt, während auf beiden Seiten die Anzahl von lokalen Lebensmittelladen abnimmt.

Nach einem Bad im eiskalten Flusslauf, in einem erstaunlich tiefen natuerlichen bassin unterhalb eines Wasserfalls begeben wir uns auf den Weg in das grüne Dickicht des Urwalds. Der dünne betonierte Weg verdünnt sich zu einem von Fan und Gestrüpp überwucherten Pfad, der sich durch ein Netz kleiner Bachläufe hindurch schlängelt. Immer wieder kreuzen diese kleinen Flussläufe unseren Weg und zwingen uns durch das eiskalte Wasser zu waten oder über tote Baumstämme ans andere Ufer zu balancieren. Zu unserer Linken schießt eine steile Felswand in den Himmel, in deren Gestein sich geheimnisvolle Höllen, schwarze lichtlose Löcher auftun. Das Geräusch von Wasser, millionenfach gebrochen an den Wänden dieses Unterwelten, sprudelnd in unsichtbarer Tiefe. Immer weiter führt uns die ausgewaschene Ahnung menschlicher Existenz in diese stille Welt der Lianen hinein, während die Stahlen der Sonne sich langsam zurückzieht aus dieser Schattenwelt. Imposant umspannen die Wipfel der Mangroven dieses atmende Universum und degradieren die Kraft des Himmelsköpers zu einem düsternden Dämmerlicht. An einigen Stellen sind wir gezwungen uns über große Felsen zu klettern, verzweifelt hoffen, dass uns dieser Rundweg noch vor Einbruch der Dunkelheit aus diesem grünen Meer entlassen werde. Je mehr das verbleibende Licht schwindet, umso mehr Stimmen scheinen zu erwachen im Dickicht um uns herum. Unerwartet endet der Pfad an einem kleinen Rondell, an dem einige steinerne Bänke sich um einen einsamen runden Tisch gruppieren. Unter einem Decke aus Moos versteckt sich ein zugewachsenes Hinweisschilddein, deren Lettern zu einem großen Teil abgeblättert sind. Trotz der Zerstörung durch Alter und Feuchtigkeit bleibt kein Zweifel an der Botschaft dieses Schildes: „This way ends here“.

Durch das Zwielicht des Halbdunkels hasten wir zurück, stolpern über Wurzeln und hasten über spitze Steine hinweg, dem Ausgang des Parks entgegen. Das letzte Licht schwindet, als wir, aus dem Wald tretend, den einsamen von Bäumen umstandenen Wendeplatz erreichen. Auf einer Bank sitzend, beobachten wir die Familie des Parkwächters, solitäre Gestalten in den letzten Zügen vor der Bettruhe, Schemen hinter den Gardinen. Zu der Melodie des aufgewühlten Wildbaches die letze Fluppe des Tages geraucht, während die Laubdächer der Mangroven in dunkler Vorahnung ihre Köpfe im Wind wiegen.

Als ich mich am nächsten Morgen aus dem Zelt wälzte, verfinsterte ein tiefhängender schwarzer Schleier den Himmel. Als ich mich ins eiskalte Wasser des Teiches hinabließ, ergossen sich ohne Ankündigung die übervollen Bäuche der Wolken auf die Wipfel der Bäume. Während der wenigen Minuten meiner Rückkehr verwandelten die nicht mehr in ihren Becken gehaltenen Tümpel den Wald in ein Netz überquellender Bäche, die Erde aufgeschwollen zu einem sumpfigen Morast. Von einem Unterstand aus betrachteten wir unser Zelt unter den Fluten brechen, einige Kleidungsstücke ruhten verloren auf einigen Steinen. Zwei völlig verzweifelte Wanderer, die erbärmlich frierend fassungslos ihre aufgeweichten Bücher betrachteten.

Als der Regen des unermüdlichen Trommelns auf das Blechdach müde war, machten wir uns zu Fuß an den Aufstieg zur Überlandstraße, vorbei an einer Welt die gerade aus einer tiefen Ohnmacht zu erwachen schien. Die Farbe des Grases schien ungewöhnlich Grün und Saftig, die Vögel lärmten lauter als gewöhnlich und der Straßenbelag qualmte unter den fahlen Strahlen der Sonne. An einer unbelebten Abzweigung, keine zwanzig Kilometer von unserem Ziel entfernt, ereilte uns das Unglück des Niederschlags aufs Neue. Ebenso unerwartet wie am Morgen stürze ein Platzregen auf uns nieder, einige wenige vorbeirauschende Fahrzeuge, dessen Spritzwasser unsere Kleidung befleckte, schließlich ein winziger Unterstand, nah einer unbemannten Polizeistation. Eine triste Landschaft zieht auf den letzten Kilometern an uns vorbei, vereinsamte Kühe, die an ihre Pflöcke gefesselt am Straßenrand grasen, die Berge des Kao Soak National Parks, die im Nebel versinken, die grünen Halme der Reisfelder, die im Braun des Schlamms untergehend, ihre Köpfe im Wind wiegen. Aus dem undurchdringlichen Dunst erheben sich drei riesige graue Schatten, Elefanten stapfen den Kopf gesenkt, den Rüssel müde herunterhängend an uns vorbei, todtraurige Augenpaare, die mich hinter der Fensterscheibe mustern.

 Wir verblieben zwei Tage im Kao Soak National Park, zwei Tage in denen wir vertrauensvolle Blicke zum Himmel warfen, im Vertrauen, dass die nicht enden wollenden Aufwallungen schwarzer Düsternis sich auflösen werde, von der Hoffnung getragen wurden, dass unsere Klamotten trotz von Humidität durchtränkten Luft endlich trocknen würden. An der Ausfahrtsstraße zum Parkeingang reiht sich in Kao Soak die, für von Touristen frequentierte Plätze, charakteristische Ansammlung an Minimärkten, Restaurants, Chill-Out Bars, Bungalowanlagen und Massagestudios auf, auf Holzfeiler ruhende Gebäude mit bunten handbemalten Schildern. Auf der Straße wandern vereinzelte Gestalten mit müden Gesichtern in Regenponchos, ansonsten scheinen sich nur wenige Urlauber in der Nebensaison an diesen Ort zu bequemen.

Es gibt wenig zu tun in diesen zwei Tagen: Regenschauer folgt Regenschauer, die Abende verbringen wir umgeben von Chang-Bier an einer Theke gelehnt, ein Auffangbecken für Deserteure der westlichen Welt, die ihren Werktag in Europa eingetauscht haben für ein Leben auf Wanderschaft: Auf den Tresen gestützt nippt ein schlaksiger Mann mit schwarzem stoppeligem Bart, dessen Gesicht eingenommen wird durch gelockte schwarze lange Zotteln an seinem Bier, ein Ire auf der Durchreise, der uns gedämpft von seiner Arbeit als Lehrer im Vietnam erzählt, ein Österreicher der sich als Touristenführer verdingt schwärt von der Leichtigkeit des Lebens, ein amerikanischer Fotograph, mit seiner Maschine auf dem Weg zu einer Bilddokumentation in Phuket. Zu unserem besten Freund wurde in diesem Tagen ein Thailänder mit deutschen Wurzeln, der selbst mehrere Jahre in Deutschland wohnte.

Es ist nicht ganz ersichtlich, woraus dieser Sport seine Faszination zieht, zumal an einem solchen kühlen und regnerischen Tag. Eine Ansammlung von Personen über das Geländer einer Brücke gebeugt, seltsam entblößt, nur mit Badehose oder Bikini bekleidet, in mitten dieser nasskalten ausdruckslosen stumpfen Umgebung, blicken in die braunen sich zerreißenden Katarakte unter sich. Große schwarze Reifen werden zu Wasser gelassen, in deren Mitte sich die Teilnehmenden wie Schiffbrüchige ausnehmen, die planschend unpräzise Armbewegungen vollführen und sich damit abmühen einen Zusammenstoß mit anderen Pneus oder dem dichten Dickicht zu beiden Seiten des Flusses zu verhindern. Ich treibe auf dem Wasser dahin, Gedanken verflüchtigen sich, der Körper verfällt in eine träge Müdigkeit und Gelassenheit. und Hinter einer Kurve schlängelt sich das Gewässer an einem Felsmassiv vorbei. Zum Fluss weißt das rissige Gestein eine Höhlung auf eh es jäh senkrecht in die Höhe steigt. Mühsam reißen wir uns aus der, durch die vom Niederschlag erstarkte Strömung los, erstiegen den glitschigen scharfkantigen Stein. Fröstelnd versinke ich in der Betrachtung des angeschwollenen schmutzigen Stroms, seiner Wirbel und Strudel, in seinen Strömungen und Trübungen und dem mitgeführten Laubwerk. Auf der Rückfahrt, die Zigarette versöhnt mit Schauder und Zähneklappern, löst sich die Entkräftung in gelöster redseliger Heiterkeit auf.

Am Nachmittag streife ich mir meine klamme Jeans über, ziehe meine vor Dreck verfärbten Chucks über die klammen Socken, reibe meine Haut mit angefeuchtetem Tabak ein, ein unwohles Gefühl stellt sich ein in diesen steifen kleberigen Klamotten und begebe mich zusammen mit Julia in Richtung Parkeingang. Das Schicksal des Wetters holt uns keine Minute nachdem wir unsere Billets vor dem Kassenhäuschen in Empfang genommen haben abermals heim, ein gewaltiger Wolkenbruch prasselt auf uns nieder und durchweicht unsere ohnehin feuchte Kleidung. Unser Schuhwerk versinkt im aufgeweichten Morast, jeder Lufthauch schüttelt Millionen von winzigsten Tropfen von den Bäumen. Geheimnisvolle Pfade schlängeln sich in das Buschwerk. Ein muffig stinkender Odeur zeugt von der Anwesenheit von Tieren. Welcher Vierfüßler mag an jener Stelle wohl seine Pranke niedergesetzt haben? Ein Tiger, ein Elefant, ein Panter oder doch nur ein Affe? Dort wo die grauen Giganten dem Urwald ihren groben Stempel aufgedrängt haben, wird das Unterholz gelichtet durch zerborstene Bambusstangen, niedergetrampelte Sträucher, zerschlagenes Gesträuch. Im Schlamm, ihre Spuren: riesigen Fußstapfen als Fragmente, die die Vorstellung an durch den Urwald ziehende Familien dieser mächtigen Riesen beflügeln. Schmale Pfade führen zu kraftvollen Strömen, deren Wassermassen sich tosend in Kaskaden brechen. Entgegen des Mahnrufs des Hinweisschildes überqueren wir mühsam einen stark angestiegenen Wildbach, der sich einige Meter weiter herunterstürzt in eine Klamm. Wir wandern weiter auf einem winzigen Felssteig und bald wieder auf einem schmalen Pfad durch undurchsichtiges Tropendickicht. Ein Rascheln im Gestrüpp, Zweige die brechen, Sträucher die ahnungsvoll schwanken. Auf dem Rückweg vernehmen wir plötzlich ein Bersten von Ästen, eine Bande Affen erscheint in den Baumwipfeln über uns und nähert sich mit kecker frecher Furchtlosigkeit.

Das Wetter weigert sich weiter beharrlich sich zu bessern und so verlassen wir Kao Soak bei bewölktem Himmel, in ergebener Demut gegenüber weiteren Regengüssen. Der einstmals sauberen Wäsche entströmt ein feucht modriger Geruch nach Schimmel und Fäulnis. Der Autostraße 401 folgend erreichen wir schon relativ zügig Surat Thani, eine hässliche Transitstadt zwischen Chumphon und Nakhon Si Thammarat, angefüllt mit Banken und Stundenhotels. Ekel übermannt mich, nach dem wir die Glastür des Tesco Lotus durchschritten haben. Bankpolierte ockerfarbene Marmorimitationen fliesen den Boden, die klinisch saubere Luft scheint von jedem Odeur befreit. Mein Frösteln mag von der dauerbetriebenen Klimaanlage herrühren, nichts desto weniger übermannt mich ein Gefühl des Schams und der Trauer. Jedes Geschäft ein erneuter Beweis für die Begabung des Menschen sich immer wieder neuen materiellen Abhängigkeiten unterzuordnen. Nicht nur das Einkaufszentrum selbst, auch das Publikum gleicht mit seinen prall gefüllten Einkaufstüten unter dem Arm, seinen geschmacklos bedruckten T-shirts und namhaften Kunstlederschuhen in seinem unbedachten Geschwätzigkeit und seiner erschöpften  Geschäftigkeit dem westlichen Äquivalent. Als die an uns vorbeirauschenden Fahrzeuge erneut ihre Scheibenwischer betätigen, die aufgewirbelten Pfützen gegen die Bordsteine spritzen und die Stadt in stumpfen Variationen von Grau versinkt, Springfluten vom Himmel stürzen und die Abflussrohre nicht aufhören zu gurgeln und röhren, finden wir Unterschlupf unter dem Blechdach einer Autowerkstatt. Ein freundlicher Mechaniker, vom Öl geschwärztes Hemd, zerrissene Jeans, vernarbte, rissige Hände offeriert uns Wasser, man teilt seine Zigaretten. Es breitet mir immer ein zutiefst wohliges Gefühl, geschützt im Trockenen die Welt bei ihrem Untergang zu betrachten.

Gefangen in der Anonymität. Nach einstündigem Warten entscheiden wir uns schließlich den Rest der Strecke mit dem Bus zurückzulegen. Unser Ziel: Ein namenloser Strand an der Ostküste im Süden von Ko Samui, ein winziger weißer Schirm, eingerahmt in einem schwarzen Rechteck auf unserer Karte. Die ewige Eintönigkeit der im trüben Dunst vorüberschleichenden bewaldeten Höhenzüge, das nervenaufreibende Anfahren, Schalten und Abbremsen, das zeitlose Zischen der Hydraulik, die endlos vorbeiziehenden Pavillons der Wartehäuschen am Straßenrand, die deprimierten Regentropfen an den beschlagenen Fensterscheiben reizen und zermürben unsere Empfindungsstränge. Und mit jedem Gedanken senkt sich die Dämmerung weiter über die öde Landschaft.

Die Nacht hat bereits ihren Anspruch unanfechtbar besiegelt, als uns die Ankündigung des nächsten Halts aus unseren bleierneren Empfindungen zerrt.Die Trostlosigkeit unserer Umgebung, der deprimierenden zweistöckigen Wohnhäuser und der unablässige Strom der vorbeischnellenden Kraftfahrzeuge ruft die Frage wach: „Was tun wir an einem solchen Ort?“ Weit und breit ist kein Meer zu sehen. Das einzige Hotel, ein abweisendes heruntergekommenes Gebäude scheint schon seit Jahren  lehr zu stehen. Schlussendlich finden wir uns umgeben von Marktständen im Zentrum des Ortes. In großen gusseisenenden Töpfen schwimmen verschiedene Currys, auf Bratrosten schmorren Fisch und Würste. In kleinen Förmcheneisen erstarrt mehlige Knetmasse zu überzuckerten Küchlein. Kaufmänner bieten Fruchtspieße feil, vor Obstständen begutachten Mütter mit kritischem Blick die Auslagen. Mopeds bahnen sich knatternd und hupend einen Weg durch das emsige Treiben. Ein fiebriges Gespräch mit einer der Marktfrauen später, jeder zuvorkommende Wunsch uns zu helfen scheint an der Aussichtslosigkeit sich zu verständigen zu scheitern, stehen wir an der Intersection in Richtung Ozean.

Verloren scheint jedes Bemühen noch an diesem Tag die See zu erreichen, zu spät die Stunde, als dass sich die Menschen auf ihrem Weg von der Arbeit zweier einsamer Rucksackreisender annehmen würden. Diesmal ist es ein Schutzmann, der uns, sich seiner sozialen Verantwortung erinnernd, seinen Motorroller am Straßenrand abstellt. Und immer wieder diese Unsicherheit, nachdem man sich in fremde Hände begeben hat. Was wird passieren? Es bleibt nur zu warten, während sich die Ehefrau um einen sorgt, man telefoniert, findet sich auf der Polizeistation wieder. All diese Mühen und was währe am Ende anderes moralisch vertretbar, als schlussendlich dem Ermessen der Thais stattgebend, im Resort zu schlafen. Höchstwahrscheinlich verdankten wir es nur der Autorität unserer Begleitung, dass es uns an diesem Abend erlaubt war unser Zelt auf der überdachten Terrasse zwischen zwei Bungalows aufzuschlagen.

Eine Pagode, an ihrer Rückseite eine Stellage auf der eine versteinerte Buddha Statue eingefasst von brennenden Kerzen und Blumenvasen hockt, einige verzottelte Rüden auf dem Bürgersteig, dahinter ist deutlich die Brandung der See zu vernehmen. Nasser Sand zwischen den Zehen, eine Mole aus aufgeschüttetem unförmigem Stein ragt tief ins Meer. Die blinkenden Positionsleuchten von Fischerbooten durchbrechen die Düsternis der Nacht, manchmal zerrüttet das Klagen eines Triebwerks das Schweigen der Nacht. Heftige Böen blasen vom Meer herein, vom Festland flimmern einige wenige verloren Lichter zu uns herüber.

Beim Einkauf des Frühstücks am nächsten Morgen, den Bodensatz des Schlafes noch in den Augenwinkeln: den Fangertrag verladene Fischer, wettergegerbte runzelige Gesichtszüge, paffend eine Zigarette im Mundwinkel an den Kais, einige staubige Piers auf denen zerrissene Netze und abgewetzte Reepen und Taue einen Hinweis auf ihre einigste Aufgabe geben, Plastiktüten wehen über das zubetonierte Gelände, abgenagte Fischabfälle schlafen verlassen auf dem Erde.

Ein Fuß, der vorsichtig ins Wasser eintaucht, ein wehmütiges geheimnisvolles Funkeln in den Augen. Ein kurzer Blick zum Horizont. Kein Verlangen große Flüsse zu überqueren, Fußspuren im Sand als flüchtige Erinnerungen, bedächtiges Herum streifen ohne Ziel, der blauen Linie des Glücks folgend. Als mir meine Probleme entfielen, begriff ich, dass das Kommende in der Zukunft liegt. Wir aßen unsere Sorgen zum Frühstück. Wir ließen unsere Seele so einfach baumeln, wie unsere Beine, die wir über den Felsenriffen hängen ließen. Wir stapften über überwuchernde Saumpfade (Fischer grüßten uns von ihrer Jolle), am Strand bleibt Sand zwischen den Zehen haften, bunte Tücher wehen am Bug der Barken, vereinzelte Resorts liegen brach am Gestade, rätselhafte Ruinen aufgegebener Fischfarmen. Eine Erscheinung an der Küste: Ein Mädchen mit langem kohlenähnlichem Haar, auf ihrem Oberteil prangt eine große schwarze Katze. Ihr kleiner Bruder flitzt ihr voraus, vorwitzig umspringt er die beiden farang. Schüchtern wacht sie mit Liebe über den kleinen Zwerg, ihr folgen aufeinanderfolgend fünf winzige Katzen, die jedem ihrer Schritte nachfolgen.

Während ich mich meinem Tabak  widme, erklärt sich Julia bereit ein Restaurant auszukundschaften. Wie aus der Einladung zu einem Glas Wasser ein zweitägiger Aufenthalt in der Dorfgemeinschaft werden konnte ist ohne ein Bewusstsein über das muslimische Verständnis der Gastfreundschaft eigentlich nicht zu verstehen. Diese Entwicklung gehört sicherlich zu einem der wundervollsten Erlebnisse während meines Aufenthalts, die mich am meisten für die Kultur eingenommen hat. Wer würde in unserer Gesellschaft auf die Idee kommen seine Mahlzeiten mit zwei völlig fremden Reisenden zu teilen, die zudem seiner Sprache nur partiell mächtig sind, seinen Bungalow an abzutreten und einen Großteil seiner freien Zeit mit ihnen zu teilen. Diese letzten Tage unserer Reise lassen sich am schwersten in Worte kleiden: Wie diese Stunden beschreiben, die wir rauchend und schmausend mit dem Versuch zubrachten uns mitzuteilen, das befreiende Lächeln der Familienmitglieder, die in gemeinschaftlichen Miteinander ihr Essen einnahmen, all die zusammen verzehrten kanoums, chajens und gafees, der Ausflug auf den Markt im Motorradhänger, die Kokosnüsse, die man nur von den Palmen zu trennen brauchte um ihren Saft abzugießen, die sich in Schauern entladene Luft nach der Schwüle des Nachmittags, während derer jeder still dahockt und der Melodie der zerbrechenden Topfen lauscht. All dies folgte einem aus Kok Payom längst bekannten Metrum, stellte ein längst geläufiges Gleichmaß dar, trotzdem erfüllte mich das Verweilen an diesem Ort in einem besonderen Maße. Ich war in diesen Tagen erfüllt von dem behaglichen Gefühl, nach einer Zeit in der Fremde an einen längst bekannten Ort zurückzukehren, gleichwohl ich noch nie in diesem Dorf gewesen war. Wir wären sicherlich noch länger verweilt, wenn wir gekonnt hätten, doch zwang uns die Tätigkeit Julias zu frühzeitigen Aufbruch. Es war kurz vor unserer Abreise, wir warteten gemeinsam mit unseren Gastgebern auf das Auftauchen eines Busses, als ich die Klarheit erlangte, dass ich ein Stück Heimat gefunden hatte.

Every Seed Is A Longing
18. November 2010

Auf meinem Weg zur Schule begegnen sie mir immer wie sie mit gebeugtem Rücken Bündel kleine grüne Halme in den Schlamm setzten, die dreckbeschmutzten Beine im schlammigen Grund. Diese freundlich aufblickenden Frauen, ihre Gesichter unter ausladenden breitkrempigen Strohhütten vor der sengenden Sonne schützend. Ihnen zu helfen, meine Füße selbst in diesen feuchtwarmen Mud zu versenken und mit meinen eigenen Händen zu pflanzen, ohne das Leben hier nicht vorstellbar wäre, diese kleinen ovalen Körner, die sinnbildlich für das Ernähren stehen.

Was mir in Erinnerung blieb von dieser Arbeit in den quadratischen Schlammfeldern unserer Existenz ist das Eintauchen meiner Beine in den warmen glitschig zähen Morastes, das zahnlose spöttische Gelächter der wortkargen Frauen angesichts meiner in der bräunlichen Brühe auseinanderfließenden, dahintreibenden Stängel. Das Hin und Herschleppen von Büscheln von Reißablegern, mein Daumen der tief in der modrigen Feuchtigkeit versunken den Setzling zudeckt und meine Hand die fast zärtlich die kurzen grünen Halme glättet.  Das Betrachten meiner, von einer schwarzen Kruste überzogenen Unterarme, während ich eingeschlossen von senkrechten Adern von grünen Schäften mir einen Weg aus dem Morast bahne.

Dieses Gefühl eine Einheit zu formen, zusammen mit diesen braungebrannten Frauen einem Ziel entgegen zustreben, ein stilles Verständnis durch das gemeinsame Mühsal. Ein Büschel Setzlinge fest an die Brust gedrückt verschwinden sachte Schössling um Schössling im Matsch, während sich Bündel der wortkargen Bäuerinnen immer schneller verbrauchen, die in der gleichen Zeit zehn Ableger pflanzen, in der ich einen vollende. Belustigt über meine Unfähigkeit amüsieren sie sich in ihrer Sprache, allein ihre erheiterte Unterhaltung ist schon reichliche Entlohnung für mein Schaffen. Felder um Felder, nicht enden wollende zu bewirtschafteten Fläche und dann gegen Mittag entfernen sich alle gleichzeitig, zeigen zum Abschied ihre gelben schiefen Zähne, heimwärts gehend oder sich auf ihre Motorräder schwingend.

Verlorene Schlüssel Zum Paradies
18. November 2010

Fortschritt, ist eines dieser beschönigenden Begriffe, hinter dem sich die Gier einer bourgeoisen Elite nach Profit versteckt, eines dieser beaux mots die die Aufopferung des Schicksals einiger Individuen gegenüber der Verbesserung der Stellung der wirtschaftlichen Gemeinschaft rechtfertigen wollen.

Warum diesen Blogeintrag mit einem solch pathetisch moralisierenden Präludium beginnen. Das schwarze Gold erwarb seinen Namen nicht nur wegen seiner Färbung, sondern auch wegen des moralischen Bruchs, der derjenige befiehl, die nach ihm um des Profites wegen strebten, die Fabrikanten, Raffiniere, Eisenbahner und Geschäftsmänner.

Hinter dem Namen Pak Bara Projekt versteckt sich eines der größten Bauvorhaben Südthailands, ein Koloss an Eisen, Schweiß und Stahl, Asphalt und Schmerz. Ziel ist den Seeweg der Containerschiffe, die vollgepumpt mit Öl ihre Rauchmittel dem zivilisierten Stier der Maßlosigkeit opfern zu verkürzen, indem man eine Landbrücke durch den südlichen Teil Thailands schafft, den Bau von Atomkraftwerken und die Zerstörung eines Nationalparks eingeschlossen. Inseln die in der Luft verpuffen, wie Asche, die von einem Zigarettenstummel fällt, in Jahrzehnten zusammengewachsene Dorfgemeinschaften die von Asphaltmonstren entzweit werden, eine Generation, deren Kinder nicht mehr unter Palmenhainen sondern auf Bahndämmen und in vergifteten einsamen Docklandschaften Verstecken spielen, Bulldozer die auch den letzten Klecks Gelb eines einsamen Löwenzahns unter Metern aus unverrückbarem Grau zu verstecken suchen.

Schließlich wird auch der letzte Fischer seine Angel entkräftet zur Seite legen und sich in eine blaue Werkuniform zwängend einem Leben zwischen dem Gestank von Kerosin und Kalilauge, Kränen und Containern zuwenden.

Eine weißgetünchte Turnhalle bei Nacht mit ihrem unpersönlichen sterilen und kalten Turnhallencharme, die Deckenfluter hell erleuchtet. Fünf Plakatbahnen sind aus dem Boden ausgebreitet, Farbtöpfe und eingetrocknete Pinsel, dazwischen emsige Gestalten, die in der Halle herum wuseln. Sechs übermüdete Freiwillige, unvorbereitet konfrontiert mit dem  Engagement dieser Individuen, ihrer verzweifelten Hoffnungslosigkeit. Entmutigung angesichts des Ausmaßes diese Zerstörung, Resignation, Mangel an Information, Suche im Dunkel des Halbwissens der Ungewissheit und der stille Glaube mit der Musik des Herzens Gehör zu finden bei den Tauben.

Vorbereitung des Konzerts am nächsten Tag. Tugendhafte Mädchen,  die emsig T-Shirts zurecht falten und nach geordnet auf einem klapprigen Eisentisch ausbreiten. Ich komme mir ein wenig überflüssig vor, befestige hier ein paar Plakate an Zeltstangen, unterhalte mich dort ein wenig mit einem der Angestellten des Nationalparks, schlendere über die rot gepflasterte Promenade, während die Trödler, Eisverkäufer und Getränkehändler ihre Stände ausrüsten. Gegen Nachmittag ruhen wir unter Kokospalmen am Strand, hinter Restaurants und Wohnhäusern, aus denen das Lachen von Kindern oder das Dröhnen eines Radios ertönt, Geräusche die geschluckt werden von der drückenden Schwüle, die diesen Tag wie eine Glocke einschließt.

Auf meinem Rückweg schließe ich dem Strom der Menschen an, die den Bürgersteig entlang wallen, vorbei an Kolonnen sich am Bürgersteig auffädelnden Motorrädern und Patrouillen von Soldaten, ihre Maschinenpistolen lässig umklammernd. Ein massig bleiche Person bietet mit großem Eifer und volltönendem Klang kleine Aufkleber feil, lachend schließe ich mich Bobby an und versuche die Ankommenden mit akzenthaften Thai-Brocken auf mich aufmerksam zu machen, schlendere durch die Grüppchen von rauchenden Jugendlichen und picknickenden Familien um ihnen die immer gleichen Ausrufen entgegenzurufen.

Als gegen Abend sich die aufgestaute Energie entlädt, flüchtet man sich unter die weißen Zeltdächer. Man steht dichtgedränt zwischen Plastiktüten mit Wasserflaschen und Curryreis und Lautsprechern. Aus einer Gruppe von Halbstarke löst sich einer der Youngster, auf seinem Oberteil, der riesige Korso Bob Marleys und fordern mich auf seinen Gürtel zu betrachten: Der Kopf Ché Guevaras, mutig in die Ferne blickend vor einer Karibiklandschaft. Stolz schwenkt der Bursche seine Handtasche, auf der weiß auf rotem Grund die Lithographie „Coca-Cola“ zu lesen ist und doch finden wir uns für eine Sekunde zusammengeeint, als der Qual unserer Zigaretten sich in die kalte Luft erhebt. Den Kopf gefüllt mit Bildern dünn bekleideter Frauen, die Gedanken ewig um diesen Traum von Marihuana und Freiheit kreisend sind diese Jugendlichen Sinnbild einer Generation an der Schwelle zwischen Tradition und Moderne in einem Land voller Wiedersprüche, das Gestrandete, dass zu ihnen aus dieser anderen Realität herüberschwappt sehnsüchtig einem Puzzle gleich zusammensetzend, das nur wenig dem Original gleicht.

Ich flüchte vor der Enge, schlängele mich in Richtung Bühne und überall sind diese Tweens, die mir Sätze zuschreien, die sich in meinen Ohren wie Obszönitäten anhören, die mein Unverständnis mit unverschämter Schalkhaftigkeit beantworten, die mit wippenden Knien und schlackernden Armen Tänze vollführen, die ihre aufgesetzte Männlichkeit Lügen strafen.

Die Harmonie Von Sonne Und Mond (Part Two)
18. November 2010

… Hinter einem Restaurant waten wir, die Flip-Flops in der Hand zu einer kleinen Longtailschaluppe, die sich schleppend gegen die Wellenkämme aus der Bucht entfernt und sich an der Küste haltend vorbeischippert an  abenteuerlichen Felsformationen und unerforschten Höllen, durch die Jahrtausende hinweg ausgewaschen von Millionen von salzigen Wogen.

Die Erinnerungen an meine Tage in Railey verblassen langsam. Ein steiniger Weg, der zu unserer Bungalowanlage, kleine Zweimannflachbauten, ausgestattet mit einem geräumigen Bett, Dusche und europäischer Toilette hochführt, vorbei an einigen Shops und Restaurants, Urwald und Bauzäunen. Weißer Sand, der sich bei Flut unter einer Decke aus friedlichem Azurgrün versteckt, Liegestühle unter Palmen (Bedauern über einen fehlenden bouquin). Ein mit feinem Sand und Muscheln bedeckte Küstenstreifen, deren Untergrund  bis in einen kleinen Fußwegs, getragen wurde an dem, gegenüber einer Hütte mehrere aus Bambusstäben zusammengenagelte Pavillons stehen, die Schatten spenden für begeisterte ihren Bananenmilchshake schlürfende Kletterer.

Bei niedriger Tide kraxeln wir über rissiges Gestein durch von Algen bewachsene Felsbecken,  in denen sich das Wasser sammelt, klettern über Steinformationen hinweg auf unserem Weg nach Railey.

Die Dämmerung hält früh Einzug in diesem Teil der Erde. Der Mond, ein runder leuchtender Ball am finsteren Himmel, mit all seinen Nuancen von Hellgrau und Weiß, schien hell in dieser Nacht, in der wir bis spätabends aus großen von Strohhalmen und Eis überquellenden blauen Eimern Whiskey mit Red-Bull tranken, die grüne Plastikblumen zierten, Weich und gemütlich unter mir nach gab das Bett unter mir nach, nachdem ich relativ früh, leicht schwindelnd im Kopf von der Gesellschaft verabschiedet hatte. Konfuse Irrlichter geisterten in dieser Nacht durch mein Hirn, in der Umwölkung eines Traumes flaniere ich auf dem schmalen Grad zwischen Realität und Fiktion, wandle ich umher auf dem kleinen asphaltierten Pfad zwischen den Ferienapartments, während der Mond in seiner vollen Größe über mich wacht, langsam weicht die Trübung meiner Sinne, ein einsamer Rückkehrer  wendet sich im Vorbeigehen besorgt um zu diesem einsamen Wanderer, der einzig bedeckt mit einer Boxershorts verwirrt in einem Zustand völliger Verwirrung zwischen den Welten spaziert. Die Türe ist verschlossen, vielleicht für Stunden saß ich auf einem Plastikstuhl auf der Terrasse vor dem Haus, verrückt in einer anderen Wirklichkeit, unerreichbar für unseren Wirkungsbereich. Dann hüllte mich die Angst des Wirrsals ein. Fragen, die sich ein Traumwandler stellt: „Wie komm ich hier her?“, „Wie finde ich zurück?“, „Wie komme ich dorthin zurück, von wo ich gekommen bin?“. Aufgelöst, noch nicht in der Lage, dass Geschehene zu realisieren, klopfe ich an der Türe, die ich für die richtige erachte. Welche der emaillierten Chiffren führt mich zurück? Ein verschlafener in seiner Nachtruhe gestörter Bobby öffnet mir, mürrisch weißt er mir den Weg. Ein zerzauster Jakob, resignierend gegen diesen Eindringling seiner Rast entriegelt das Tor zu meinem tiefen Hingang.

Am frühen Mittag sitze ich im Schatten von Palmen, beobachte einen erneuten Umschwung der Gezeitenströmungen, eine sachte Versenkung in das Näherrücken der Brandung. Ein heiliger Platz, einiger der wenigen Orte an dem ich inmitten dieses ungenutzten Urlaub Erholung finden soll. Das Sich Sammeln hat seine Zeit, in diesen Tagen in Einklang mit der empfangenen Erde zu stehen fällt schwer, Kreativität dort zu entwickeln, wo keine Leidenschaft, kein Handeln vorher war scheint unmöglich. In diesem Umfeld mutet es nutzlos an, Thai-Vokabeln Phasen einer Sprache zu sprechen, deren Bevölkerung so weit von ihren Wurzeln entfremdet wurde. Ich suche Nutzen in diesem Leben, am  Nachmittag biete ich mich einigen jungen Frauen an, Knoblauch mit ihnen zu schälen. Die Leute verstehen nicht. Verdammt zum Konsum, zum Empfangen, dort wo das eigene Glück im Geben liegt. Der Strand verliert immer mehr an Substanz, wird geschluckt von den Gezeiten. Jakob setzt sich zu mir, wir gehen unserer Wege. In diesen Tagen verenden meine Flip-Flops, beim Patschen durch einen Tümpel, den rechten Fuß mit dem linken gleichziehend. Ohne Sohle überquere ich einen Berg durch einen Urwald wandernd. Beim Abstieg bin ich gezwungen mich an einem Tau festzuklammern, mehr rutschend als schreitend, trippelnd und tänzelnd, stolpere ich das Gefälle herunter, während mir kantige Kiesel und zackige Felsbrocken in die Füße schneiden. Auf ein Fallen des Wasserspiegels wartend, verbringe ich die Zeit auf der Weidenmatte einiger Angestammter, die mich nicht ohne Hintergedanken zu sich einladen und mein Dasein akzeptierend, es schließlich aufgeben mir ihre Fußmassagen verkaufen zu wollen. 

Am Abend wird Railey zu unserem Gefängnis, als der einzige steinige Küstenweg zu unserer Heimatbucht sich unter der Dünung verbirgt. Warten: Das rechte Gleichgewicht will sich nur schwer einstellen. Auf einer Kaimauer, die sich über dem Linie aus Sand erhebt, vor einem weitläufigen Resort, dessen Liegestühle sich menschenleer aufreihen, berichten Jakob und ich uns von unserm Leben in Deutschland, in unserer Mitte eine schmale gewölbte Flasche bräunlich glänzenden Thai-Whiskeys. Am nördlichen Küstenstreifen, an dem Wasser bis an den schmalen Gehsteig platscht, da wo sich die Touristen tagsüber zwischen entgegenkommenden Menschen und den Eingängen der Gaststätten und Lokale hindurchzwängen, gibt der Rückgang der Tiede einen dunklen Morast frei, in dem ein paar verlassene Mangroven ihr verästeltes Wurzelwerk eingegraben haben. Zu einem Zeitpunkt, in dem auch die letzten Bars zugeriegelt, das letzte Restaurant seine Gäste entlassen hat, trifft man einzig eine Gruppe betrunkener Amerikaner auf dem Heimweg, zu dieser Uhrzeit in dem diese Stadt in Leblosigkeit versinkt, die Fassade des Parallelkosmos zerbröckelt da die Subjekte, die diesem Ort ihren Stempel gaben sich in ihren Hotels befinden, ihren Kopf auf weiße weiche Kissen gebetet.

Erst gegen neunzehn Uhr erreichen wir Hat Yai, zu spät für einen Minivan nach La Ngu. Barfuß ziehe ich hinter dem Trupp von Freiwilligen her, die dieser Nächte Unterschlupf finden, bei der Familie von Alif. Ein kleiner gefliester quadratischer Raum, an dessen Rückseite ein Durchgang wahrscheinlich in einer Kochnische mündet.  Am Platz knien an die zehn Personen im Kreis, oder sitzen auf dem einzig verfügbaren Sitzmöbel, einem ockerfarbenen Sofa mit Stickereien, die Szenen eines Dorflebens zeigen, im Kreis, in ihrer Mitte ein Stapel Fotographien, dessen oberes Aufnahme eine Familie vor einem Wolkenkratzer. Während ihres Urlaubs in Malaysia zeigt. Vor dem Wohngebäude sind auf einer metallenen Tonne Plastikflachen gefüllt mit Gasolin platziert. Ein Kind betritt den Räumlichkeit  von der Kehrseite, eine Kasserolle mit Reis und ein Tablett mit diversen Schüsseln mit Curry, gebratenem Fisch und Omelette tragend. Später gen Tagesende sitze ich  umringt von Töpfen mit Knetmasse, nächst zu verknöcherten Frauen voller  tiefer Mulden im Gesicht, die sich über mich erheiternd, für die ich kleine Runde Kügelchen schwarzer zäher Masse in einen mehlig süßen Teig einrolle.

Über die schmutzige Straße pilger ich mit nackten Füßen zum Markt, auf dem ich schließlich neue Flip-Flops erstehe. Einen Plastikbecher Eistee, diese übersüßte Huldigung an die Kondensmilch, aus dem ein rot-weiß gestreifter Strohhalm ragt in der Hand lassen wir uns von der Energiewelle dieses Ortes mit spülen. Bündel von Bananen, die von den Unterständen der Gemüseverkäufer herabhängen, riesige Knäuel intensiv duftenden Tabaks, lederne Brieftaschen gefälschter Herkunft, kleine Plastikschalen, mit Kleinoden und Plunder vollgestopft: dreiteilige Packungen Feuerzeuge, Schlösser, Taschenspiegel, Küchenbesteck und –gerät (Messer, Gabel, Löffel, Flaschenöffner, Büchsenöffner Handreiben und Stößel), Heimwerkerausrüstung (Zangen, Handbohrer, Schraubenzieher, Schmieregelpaper, Hämmer, Nägel), Wörterbücher im Taschenformat, Gewürze und Gemüse, Cola und kolorierte Limonade, DVD Verkäufer, Schuhverkäufer, Bekleidungsverkäufer…

Ansonsten gibt es wenig mehr zu berichten mit Ausnahme von fehlgeschlagenen Versuchen Geld abzuheben und einem Ausländerzuschlägen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.