Fußnote

Zum Problem Der Historischen Kontextualität Und Sprachlichkeit Des Fundamentalontologischen Blogs

Je länger ich an meinem Blog arbeite und mit jedem veröffentlichten Artikel mehr stellt sich mir neu die Frage: Wozu dient mein Tagebuch? „Ein Tagebuch ist Wahrheit der eigenen Realität im schriftlichen Zeichen“, könnte man antworten. Doch wie transportiert man Realität? Und wie lässt sich Realität in der Sprache transportieren?

Ich glaube auf diese Fragen eine persönliche Antwort gefunden zu haben, die ich diesem Blog gerne als Fußnote beifügen möchte:

Die meisten Blogs sind entweder theoretischer oder phänomenologischer Natur. Das heißt: Im ersten Fall werden aus der empirischen Betrachtung heraus sozial-politische oder gesellschaftliche Zusammenhänge subsumiert. Dieser theoretische Blog ist seiner Natur her wissenschaftlich und trifft Aussagen über die Bezugssysteme unserer Umwelt. Vielleicht will man nicht direkt eine Metaphysik begründen, aber man wünscht sich trotzdem bestimmte Ursachen freizulegen. Der Verfasser erklärt demzufolge seinen Geist und sich selbst als Subjekt zum Maß aller Dinge.

Eine phänomenologische Betrachtung erhebt die Erscheinungen ins Zentrum, die vom Bewusstsein reflektiert werden. Sie besitzt auf Grund ihres statischen Blickwinkels eine hohe Geschlossenheit. Aber sie ist narzisstisch, insofern sie alle Bilder auf den Verfasser bezieht.

Beide Ansätze setzten sich selbst als Subjekt in den Mittelpunkt und verkennen, dass sie selbst Teil der Welt sind, als In-der-Welt Kontextuiertes in Verbindung mit ihr leben. Der Versuch dieses Blogs soll es sein einen fundamentalontologischen Schreibstil zu finden, der den Schriftsteller selbst nicht mehr als feste Substanz festsetzt. Dieses Experiment lässt sich wie folgt beschreiben: Es soll nur mein Daseinsvollzug beleuchtet, insofern er Kontext zur Welt ist und die Weltlichkeit der Welt nur insofern thematisiert werden  wie sie auf meinen Daseinsvollzug als In-der-Welt stehend hinweist.

Das größte Problem des Schreibens ist seine Geschichtlichkeit. Dieses Dilemma wird umso größer, als zwischen dem Ereignis und dem Prozess des Niederschreibens oft eine große Zeitspanne liegt. Tagebücher sind immer ein Sich-Erinnern und ein Sich-ins-Bewusstsein-Rufen. Sie sind ein Kunstwerk, insofern sie das Wesen der Wahrheit erneuern und die Realität neu aus der bruchstückhaften Erinnerung schaffen. Wir sind der Möglichkeit entwachsen die Erfahrung unreflektiert darzulegen, da diese nicht mehr An-sich als Wirklichkeit sondern nur noch als geistige Abstraktion existiert. Insofern sie nicht mehr den Status der Wirklichkeit genießt, entwickeln wir einen Blickwinkel zu ihr. Dass wir sie perspektivisch auffassen heißt auch, dass wir unsere Erinnerung nur von einer bestimmten Seite her einsehbar machen können. Wir entbergen Erinnerung in einem bestimmten Licht. Dies bringt gleichzeitig die Notwendigkeit mit sich zu verbergen. Literatur heißt in diesem Kontext Wahrheit durch schöpferische Gestaltung ein neues Wesen zu geben. In meinem Blog wird der Versuch unternommen die Beziehung von Welt und Mensch zu entbergen. Wahrheit geschieht, insofern der Verfasser eine neue Welt aufstößt.

Wie entkommen wir aus dem sprachlichen Dilemma? Der Autor findet sich verzweifelt vor dem Problem der Sprache: Dem Ballast des Signifikanten. Jedes Zeichen ist bereits kontextuierte Bedeutung und wir begegnen ihm mit gewissen Vorrausetzungen. Mit Derrida lässt sich feststellen: Jeder Signifikat ist „immer schon in der Position des Signifikanten“. Die Unsicherheit der Sprache liegt in der Verzögerung jeder unterstellten Sinnvermittlung. Sinn konstruiert sich durch nachträgliche Rekonstruktion der Signifikanten mit jedem archäologischen Unterfangen des Verstehensprozesses. Dieses Dilemma beschreibt Derrida mit dem Begriff der Spur, der das Bild eines ausgeblichenen und vergessenen Signifikanten heraufbeschwört. Auf rund der Differance zwischen dem Zeitpunkt des Verfassens und ihrer dem Akt des Lesens, das heißt insofern ein Begriff unterschiedliche Zeit-Stellen einnimmt und insofern dieser bereits als ausgewaschene Spur vorliegt, wir ihm bereits etwas zugrunde gelegt haben, sowohl seines individuellen als auch seines sozialgesellschaftlichen Kontexts nach, bleibt Sinnvermittlung in der vierten Dimension unmöglich.

Signifikante sind also selbst historisch, ihnen liegt ein sinnhaftes Verweissystem zugrunde. Sie verweisen nicht auf eine einzelne bestimmte Bedeutung, können im Gegenteil gar nicht ohne Kontext gedacht werden. Jedes Zeichen eröffnet eine Bezugswelt. Dadurch, dass der Mensch im Bezug zur Welt, also In-der-Welt steht, wohnt er auch In-der-Sprache. Er steht dem Signifikanten nicht unvoreingenommen gegenüber, sondern verhält sich zu ihm.

Es kann dem Schriftsteller also heute nicht mehr ernsthaft darum gehen Geschehes zu dokumentieren. Stattdessen muss von ihm der Versuch unternommen werden ein sprachliches Verweisnetz aufzubauen, dass auf die Bedeutung hinweist. In der sprachlichen Welt soll ein Raum semantischer Zusammenhänge aufgestoßen werden. Man könnte mit Heidegger dieses Experiment wie folgt definieren: „Der Bedeutungsgehalt [der] Begriffe meint und sagt nicht direkt das, worauf er sich bezieht, er gibt nur eine Anzeige, einen Hinweis darauf, dass der Verstehende von diesem Begriffszusammenhang aufgefordert ist, eine Verwandlung seiner selbst in das Dasein zu vollziehen.“

Auf der einen Seite bleibt Dichtung nicht mehr als ein Blindenstock in der sprachlichen Bezugsunendlichkeit. Auf der anderen Seite offenbart sich gerade in der reziproken Beziehung zwischen Sprache und Welt ihre Schönheit, Wandelbarkeit, Offenheit. Die Sprache auf die Illusion eines statischen Konstrukts zu reduzieren, beraubt nicht nur den sprachlichen Ausdruck einer Dimension, sondern verstümmelt auch die Welt.

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