Klong Daen: Die Farbbrechung Des Glücks In Der Beharrlichkeit Des Kosmos‘.

23. Dezember 2010 - Leave a Response

Klong Daen klingt nach Urlaub, gewiss auch nach hohen Kinderschreien, die jeden kreativen Schaffensprozess im Keim ersticken, die die Holzbollen der Terasse erzittern lassen, und nur allzu oft nach penetranter Lautsprechermusik, aber in aller erster Linie nach freier Zeit, nach Faulenzen und Bummelei. Der Wellengang folgt einer anderen Melodie, weit entfernt von den Reibereien meiner Genossen in Kok Payom. Wir trinken heißen Kakao mit Whiskey, erstehen unser Frühstück im Tumult des Wochenendmarktes, schauen uns auf Matratzen rumlümmelnd Animationsfilme an, kochen zusammen Curry und übertönen das Lärmen der Sprösslinge mit dem Stampfen der Bassdrums. Je nach Wetter schlagen wir den Tag in der Hängematte oder im Tanz tod. In der Nacht brechen die Dorfbewohner mit ihrer zurückhaltenden Höflichkeit, man scherzt zusammen, während der Geschmack nach Hopfen die Kehle herunter rinnt.

Das stumpfe Braun des Kanals fließt träge vorbei an den Holzhütten, das Dorf scheint in einem märchenhaften Schlaf zu liegen, den nur vereinzelt Bewohner aufschrecken, wenn sie über die kleine, en Fluss überspannende, grob zusammengehämmerte Steg schlendern. Vor dem Restaurant sitzt man auf einer Terrasse über dem Klong, Blumen und Putenstatuen allenthalben. Alles wirkt herausgeputzt und scheint der Ankunft wichtiger Persönlichkeiten entgegenzufiebern, kleine Rondelle und Hinweistafeln stehen unbenutzt, unbeachtet in gekränktem Stolz an den Bollenstegen, das Dorf gleicht der namenlosen Filmkulisse einer Szene, in der der Tourist seinen Einsatz verpasst zu haben scheint.

Nur samstags scheint sich die Wolke der Lethargie von diesem Dorf zu heben. Die Laden der Hauseingänge schwingen auf und auf den Plankenwegen entlang des Wassers wird eifrig versucht Umsatz zu machen. Dabei lässt man sich auch nicht von der Tatsache abschrecken, dass die Freiwilligen und Nachbarn scheinbar zu den wenigen kaufwilligen Kunden gehören. An Samstagen brachten ich und Bobo Stunden mit dem Schlendern zwischen den Ständen zu, nichts schien uns aufhalten zu können noch mehr zuckersüße Snacks in unseren Magen zu befördern, nicht die Furcht vor Diabetes und noch weniger die Angst das Fassungsvermögen unser Mägen zu sehr zu strapazieren.

Wie an allen Tagen hier in Thailand verkriecht sich das Licht des Tages viel zu übereifrig hinter dem Horizont. Ich erinnere mich eines Abends, das Tagesende kündigte sich schon leise an, da hatte der Tag für mich noch gar nicht begonnen: Ich saß ich auf einer kleinen Holzbrücke, sie wippte unter dem Gewicht jedes Motorrollers mit, abwechselnd starrte ich die geöffnete Seite meines bouqin an und betrachtete die Dächer von Klong Daen, die in der untergehenden Sonne in roter Glut zu entflammend schienen. Unter dem pont zog der Fluss entlang, seine Kehrwassern malten Schnecken in die Strömung. In den Bäumen, das heitere Lied der Vögel, ansonsten nur der leise Singsang des gurgelnden Wassers. Eine niedrige rote Ziegelmauer trennt den Kanal vom Tempelbezirk, der eingebettet in grünes Weideland in der Landschaft lag.

An jenen besagten Samstagabenden, wenn das natürliche Licht sich zur Ruhe gesetzt hatte und im Zwielicht die Mücken die erleuchteten Laternen umschwirrten, verteilte sich die Dorfbevölkerung um die kleine Bühne herum, die dicht über dem Fluss schwebte. Der Wind trug die leichten Melodiefetzen von Folksongs über das Dorf. Wenn verwirrender Trommelschlag sich mit dem Quietschen eines ungekannten Blasinstruments zu verwickelten ekstatischen Rhythmen vereinigte und hoher zerreißender Gesang die Seelen verstörte, dann begaben wir Freiwilligen uns in Andacht auf die Brücke und nahmen Einblick in einen Tanz der Göttin Manorama deren Fabelwesen, Frauenwesen mit gekrümmten Schwänzen und langen Krallenhänden sich um einander wandten und sich schleppend immer neuen Verrenkung aussetzten. Schall und Vibration ließen die Seele beben und zittern im Rhythmus trippelnder Füße. Der Pulsschlag von Tonfolge und Bewegung wurde zu einer Einheit, wurden vielfach zurückgeworfen in der eigenen Psyche.

Im November trugen mich meine Füße abermals in dieses Dorf. In Kok Payom waren zu dieser Zeit die Freiwilligen ausgefolgen wie Fliegen, die dem sich ankündigenden Gewitter entfliehen. Angesichts der Disharmonie unseres Zusammenlebens schien die temporäre Flucht in vieler Hinsicht die beste Lösung. Durch die Brille der zeitlichen und räumlichen Distanz wirkt vieles weniger dramatisch, ein Grundstein zur Vergebung ist gesetzt. Es war schon relativ spät als ich den Bus nach Nakhon Si Thammarat stieg, zu viel Zeit hatte ich im Schatten des Absatzmarktes verbracht, war durch eine Betonwüste geirrt, die sich von den Schäden des Hochwassers erholte. Es stank nach Kloake und Anonymität. Der Bus war rappelvoll, jede Bewegung hieß einige vorwurfsvolle Blicke auf sich zu ziehen. Trotz allem schaffte ich es irgendwie mich so im Gang zu positionieren, dass ich mit der einen Hand mein Buch (zu dieser Zeit Dostojewskis „Schuld und Sühne“) umklammern konnte, während ich mich mit der anderen notdürftig abstütze. So holperte der Bus in den Abend hinein. Es war schon dunkel, da überfiel mich ein eigenartiges Gefühl. Es war mir, als ob nicht wir uns bewegen würden, sondern die Landschaft um uns herum. Draußen war nicht mehr zu sehen, als das Aufleuchten der Scheinwerfer. Ich beobachtete die Gesichter meiner Mitfahrer: Es waren immer noch dieselben wie vor einer Stunde, die gleichen eingefallenen, ausdruckslosen Mienen, die von Müdigkeit und Ermattung sprachen. Zwar ruckten die Zeiger der Wanduhr gleichmäßig vor und einige Male hielt der Bus um wenige Leute an belanglosen Haltestellen auszuspucken, trotzdem gewann ich den Eindruck der Bus wäre zu einer leuchtenden zeitlosen unveränderlichen Einheit in der Dunkelheit geworden.

Der eigentliche Grund meines Kommens war das nahende buddhistische Loi Kràthong Festival gewesen, das in der Nacht von Sonntag auf Montag stattfinden sollte. Das Dorf schien bereits am frühen Abend überzuquellen vor Menschen, die sich auf den schmalen Stegen über dem Kanal drängten. Der leuchtend weiße Ball des Vollmondes glitzerte auf der ebenen Wasserfläche, auf der Bühne tänzelten sich in Gold gehüllte götterähnliche Geschöpfe in eine neue Dimension. Ich taumelte durch dieses bunte Treiben wie ein neugieriges Kind, feierlich überließen wir behutsam unsere kleinen Boote der Fügung dem Wasser. Umkleidet mit Bananenbaumblättern und Blumenblüten glitt meine Kerze langsam den Strom hinunter bis ihr der Wind sachte ihr Leben aushauchte. Der warme Atem des Feuers erhebt unsere Laterne in die Lüfte, eh ihr Flug im Blattwerk eines Baumes erstickt. Ein Fremder gibt sich alle Mühe uns für die Sprache des Flusses zu sensibilisieren, seine Hände kreisen in der Luft wie die eines Dirigenten dessen Operette nur ihm einleuchtet, seine Augen hält er geschlossenen, während sein Mund in verzückter Erregung zuckt und sein Geist das verschlüsselte Wehklagen des Flusses zu dechiffrieren versucht.

Kok Payom: Der Ort, An Dem Deine Gedanken Wohnen

15. Dezember 2010 - Eine Antwort

Was sind das für Orte, die wir Heimat nennen und die unsere Denken mit so vielen Empfindungen fühlt. Kok Payom: eine Unzahl an federleicht zerronnenen Tagen, in denen die Uhren zerschmelzen, wie auf einem Gemälde Dalís, und Zeit, dieser westliche Taktstock unseres Daseins zu einer fluiden Maße zerrinnt, in der sich der Tag, wen überhaupt noch gerade in Morgen, Mittag und Abend einteilen lässt, in Morgenzigarette, Unterricht, Lunch im Restaurant und den Beginn des Plärren des Fernsehers, aber ansonsten diese feste Dimension einfach aufhört zu existieren und jeder Tag seine Ewigkeit aus sich heraus entwickelt. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang liegen dreizehn Stunden, ein Raum der beansprucht gefüllt zu werden, zwischen Himmel, Sonne und Strand.

Hinter dem Restaurant von Ban Bat der kleine Pfad aus festgetretener Erde schlängelt sich zwischen den Hütten durch, Intimität des Alltags inmitten von Hühnern, Ziegen, Kindern und Greisen. Man lebt und stirbt hier noch zusammen. Der Küstenstreifen, ein dünnes endloses Band aus Sand, Jollen, die in der friedlichen Gischt dösen, Wellen, die leise ans Ufer plätschern. Die Fischreusen und liegengebliebene Industrieabfälle konnten meine Begeisterung nur bei den ersten Besuchen hemmen, zu tief bin ich mittlerweile mit diesem Ort verbunden. Tage habe ich hier lesend verbracht, meine Blogeinträge verfasst. Ich kenne die Stelle, an der die untergehende Sonne jeden Abend den Horizont streift. Ich weiß, um den Ort an dem sich die Fischer jeden Abend auf einer Steinbank versammeln und ihren Whiskey aus braunen Glasflaschen trinken. Noch lange nachdem auch das letzte Rot der Sonne verdrängt worden war von einer vollkommenden Finsternis hing ich hier mit Jakob meiner Vergangenheit nach. Die riesigen Palmen, die bedächtig ihre Köpfe im Wind schütteln, hochaufragend über den Reisfeldern, im Schatten eines Laubbaumes, ein gestrandetes Boot, dessen rot-grüner Anstrich langsam abzublättern beginnt.

Gleich neben unserer Schlafstätte, die auf halb über das Wasser hinausragt, kleine einfache Räume, die wenig mehr Platz bieten als für zwei Matratzen erforderlich ist, liegt ein Fischkutter brach im Schlamm, den die Niedrigtide auf ihrem Rückzug ausspuckt. Eine grüne Hängematte hängt schlapp in ihren Seilen, am Geländer trocknet farbenfroh noch klamme Wäsche. Am Ende des Bohlenweges scharen sich  bescheidene Fischerboote um den Steg zusammen, umringen, wie ein Kind seinen Vater, einen stabileren Kutter. Der Versammlungsraum selbst ist ein großer nach allen Seiten geöffneter Raum. Das Herzstück bildet ein Bücherregal aus schmalen dünnen Aststücken, in dem sich ungeordnet übereinander gehäuft allerhand bouqins und Dokumente anhäufen. Auf ihm thront der Fernseher, als ewig plärrendes Zeugnis der Unkultur der Spezies Mensch. Auf dem mit dünnen gewebten Matten ausgebreiteten Boden stehen jetzt am frühen Nachmittag leere lilafarbene Plastikkaffeetassen, leere Wassergläser, an den Rand voll gefüllte Aschenbecher, die verstreuten Steine eines umgeworfenen Jengaturmes, eine bedeckter mit Reis gefüllter Topf, im Schatten zweier Kissen dösen mehrere Katzen vor sich hin.

Kok Payom, das bedeutet sich dem ruhigen Strom des Alltags zu überlassen. Sich dem Vertrauten anheimzugeben, in wohlbekannte Gesichter zu blicken und vertraute Menschen zu grüßen, deren Lächeln so einnehmend und rein leuchtet und deren Gesicht so unberührt von Erbitterung strahlt. Eine innere Zufriedenheit ließt sich aus ihren Zügen, genügsam mit dem was sie besitzen, scheinen sie jedes persönliche Streben vergessen zu haben. Sie sitzen zusammen im Lebensmittelgeschäft von Ban Mod, schwatzend, essen in Fett frittierte Bananen, trinken zu süßen Kaffee und scheinen nicht den Wunsch zu haben, irgendwann einmal etwas anderes zu tun. Alles ist durchzogen von dieser Evidenz endlich wieder am richtigen Ort angekommen sein. Man ist froh Teil einer Gemeinschaft zu sein, verschenkt mit Freuden und zelebriert den gemeinsamen Müßiggang.

Und dann erkundigen sich die Leute: „Was macht du eigentlich“ und stellen damit eine Frage, die ich selbst nur unzulänglich beantworten kann. Natürlich könnte ich die unzähligen Male aufzählen, die wir im Mangrovenwald verbracht haben, Setzlinge mit Händen voll feuchter lehmiger Erde bedeckend, einen Pavillion im Rahmen eines Workcamps errichtend, der eine alternativen Schule, die die Kinder mit der eigenen Tradition in Berührung bringt, beherbergen soll. Natürlich könnte ich von meiner Tätigkeit als Lehrer berichten, der Strapazen auf dem Reisfeld, der Fütterung der Hühner und das tue ich dann auch allzu oft. Aber ist es dass, was meine Freiwilligenarbeit ausmacht. Oder ist es dass vielmehr ein erwidertes Lächeln, ein freundlicher Gruß, das gemeinsame Abendessen mit unseren Nachbarn, das verschmitzte Grinsen der Kinder, wenn sie beim UNO-Spielen mogeln. Gemeinsames Kaffeetrinken und das Teilen von Tabak als fakultativer Broterwerb.

Dharma Bums Strolling Arround In Southern Thailand (Part Two)

7. Dezember 2010 - Leave a Response

Von westlichen vermögenden bleichen farang überlaufen erweist sich Ao Nang am nächsten Tag als ausweglose Falle für Anhalter. Die wenigen Fahrzeuge, die ihre Geschwindigkeit für uns verlangsamen verweisen uns auf die in kurzen Abständen vorbeifahrenden Pick-up Busse. In Krabi haben wir kaum mehr Glück. In nächster Nähe zur Busstation quellen die Straßen über vor aufdringlichen Tuk-Tuk Fahrern, sonnenbebrillten braungebrannten Männern in roten Wesen, die einem schon aus weiter Entfernung ihr akzentbehaftetes „Where you go“ entgegen schreien, tadellos gekleideten Taxifahrern, deren Fahrzeuge kaum von Privatwagen zu unterscheiden sind. Am Abend gelangen wir schließlich, verschwitzt, müde und erschöpft zu einem winzigen Nationalpark, im Herzen der bewaldeten Provinz von Phang Nga, deren öde von mächtigen Felsen überschattete Provinzhauptstadt kaum ihren Namen verdient. Einsam, unentdeckt von den Massen an Billigurlaubern  liegt der Sa Nang Manora Forest Park abseits des Highways, am Ende einer Nebenstraße, die sich in Serpentinen in eine Talmulde schlängelt, während auf beiden Seiten die Anzahl von lokalen Lebensmittelladen abnimmt.

Nach einem Bad im eiskalten Flusslauf, in einem erstaunlich tiefen natuerlichen bassin unterhalb eines Wasserfalls begeben wir uns auf den Weg in das grüne Dickicht des Urwalds. Der dünne betonierte Weg verdünnt sich zu einem von Fan und Gestrüpp überwucherten Pfad, der sich durch ein Netz kleiner Bachläufe hindurch schlängelt. Immer wieder kreuzen diese kleinen Flussläufe unseren Weg und zwingen uns durch das eiskalte Wasser zu waten oder über tote Baumstämme ans andere Ufer zu balancieren. Zu unserer Linken schießt eine steile Felswand in den Himmel, in deren Gestein sich geheimnisvolle Höllen, schwarze lichtlose Löcher auftun. Das Geräusch von Wasser, millionenfach gebrochen an den Wänden dieses Unterwelten, sprudelnd in unsichtbarer Tiefe. Immer weiter führt uns die ausgewaschene Ahnung menschlicher Existenz in diese stille Welt der Lianen hinein, während die Stahlen der Sonne sich langsam zurückzieht aus dieser Schattenwelt. Imposant umspannen die Wipfel der Mangroven dieses atmende Universum und degradieren die Kraft des Himmelsköpers zu einem düsternden Dämmerlicht. An einigen Stellen sind wir gezwungen uns über große Felsen zu klettern, verzweifelt hoffen, dass uns dieser Rundweg noch vor Einbruch der Dunkelheit aus diesem grünen Meer entlassen werde. Je mehr das verbleibende Licht schwindet, umso mehr Stimmen scheinen zu erwachen im Dickicht um uns herum. Unerwartet endet der Pfad an einem kleinen Rondell, an dem einige steinerne Bänke sich um einen einsamen runden Tisch gruppieren. Unter einem Decke aus Moos versteckt sich ein zugewachsenes Hinweisschilddein, deren Lettern zu einem großen Teil abgeblättert sind. Trotz der Zerstörung durch Alter und Feuchtigkeit bleibt kein Zweifel an der Botschaft dieses Schildes: „This way ends here“.

Durch das Zwielicht des Halbdunkels hasten wir zurück, stolpern über Wurzeln und hasten über spitze Steine hinweg, dem Ausgang des Parks entgegen. Das letzte Licht schwindet, als wir, aus dem Wald tretend, den einsamen von Bäumen umstandenen Wendeplatz erreichen. Auf einer Bank sitzend, beobachten wir die Familie des Parkwächters, solitäre Gestalten in den letzten Zügen vor der Bettruhe, Schemen hinter den Gardinen. Zu der Melodie des aufgewühlten Wildbaches die letze Fluppe des Tages geraucht, während die Laubdächer der Mangroven in dunkler Vorahnung ihre Köpfe im Wind wiegen.

Als ich mich am nächsten Morgen aus dem Zelt wälzte, verfinsterte ein tiefhängender schwarzer Schleier den Himmel. Als ich mich ins eiskalte Wasser des Teiches hinabließ, ergossen sich ohne Ankündigung die übervollen Bäuche der Wolken auf die Wipfel der Bäume. Während der wenigen Minuten meiner Rückkehr verwandelten die nicht mehr in ihren Becken gehaltenen Tümpel den Wald in ein Netz überquellender Bäche, die Erde aufgeschwollen zu einem sumpfigen Morast. Von einem Unterstand aus betrachteten wir unser Zelt unter den Fluten brechen, einige Kleidungsstücke ruhten verloren auf einigen Steinen. Zwei völlig verzweifelte Wanderer, die erbärmlich frierend fassungslos ihre aufgeweichten Bücher betrachteten.

Als der Regen des unermüdlichen Trommelns auf das Blechdach müde war, machten wir uns zu Fuß an den Aufstieg zur Überlandstraße, vorbei an einer Welt die gerade aus einer tiefen Ohnmacht zu erwachen schien. Die Farbe des Grases schien ungewöhnlich Grün und Saftig, die Vögel lärmten lauter als gewöhnlich und der Straßenbelag qualmte unter den fahlen Strahlen der Sonne. An einer unbelebten Abzweigung, keine zwanzig Kilometer von unserem Ziel entfernt, ereilte uns das Unglück des Niederschlags aufs Neue. Ebenso unerwartet wie am Morgen stürze ein Platzregen auf uns nieder, einige wenige vorbeirauschende Fahrzeuge, dessen Spritzwasser unsere Kleidung befleckte, schließlich ein winziger Unterstand, nah einer unbemannten Polizeistation. Eine triste Landschaft zieht auf den letzten Kilometern an uns vorbei, vereinsamte Kühe, die an ihre Pflöcke gefesselt am Straßenrand grasen, die Berge des Kao Soak National Parks, die im Nebel versinken, die grünen Halme der Reisfelder, die im Braun des Schlamms untergehend, ihre Köpfe im Wind wiegen. Aus dem undurchdringlichen Dunst erheben sich drei riesige graue Schatten, Elefanten stapfen den Kopf gesenkt, den Rüssel müde herunterhängend an uns vorbei, todtraurige Augenpaare, die mich hinter der Fensterscheibe mustern.

 Wir verblieben zwei Tage im Kao Soak National Park, zwei Tage in denen wir vertrauensvolle Blicke zum Himmel warfen, im Vertrauen, dass die nicht enden wollenden Aufwallungen schwarzer Düsternis sich auflösen werde, von der Hoffnung getragen wurden, dass unsere Klamotten trotz von Humidität durchtränkten Luft endlich trocknen würden. An der Ausfahrtsstraße zum Parkeingang reiht sich in Kao Soak die, für von Touristen frequentierte Plätze, charakteristische Ansammlung an Minimärkten, Restaurants, Chill-Out Bars, Bungalowanlagen und Massagestudios auf, auf Holzfeiler ruhende Gebäude mit bunten handbemalten Schildern. Auf der Straße wandern vereinzelte Gestalten mit müden Gesichtern in Regenponchos, ansonsten scheinen sich nur wenige Urlauber in der Nebensaison an diesen Ort zu bequemen.

Es gibt wenig zu tun in diesen zwei Tagen: Regenschauer folgt Regenschauer, die Abende verbringen wir umgeben von Chang-Bier an einer Theke gelehnt, ein Auffangbecken für Deserteure der westlichen Welt, die ihren Werktag in Europa eingetauscht haben für ein Leben auf Wanderschaft: Auf den Tresen gestützt nippt ein schlaksiger Mann mit schwarzem stoppeligem Bart, dessen Gesicht eingenommen wird durch gelockte schwarze lange Zotteln an seinem Bier, ein Ire auf der Durchreise, der uns gedämpft von seiner Arbeit als Lehrer im Vietnam erzählt, ein Österreicher der sich als Touristenführer verdingt schwärt von der Leichtigkeit des Lebens, ein amerikanischer Fotograph, mit seiner Maschine auf dem Weg zu einer Bilddokumentation in Phuket. Zu unserem besten Freund wurde in diesem Tagen ein Thailänder mit deutschen Wurzeln, der selbst mehrere Jahre in Deutschland wohnte.

Es ist nicht ganz ersichtlich, woraus dieser Sport seine Faszination zieht, zumal an einem solchen kühlen und regnerischen Tag. Eine Ansammlung von Personen über das Geländer einer Brücke gebeugt, seltsam entblößt, nur mit Badehose oder Bikini bekleidet, in mitten dieser nasskalten ausdruckslosen stumpfen Umgebung, blicken in die braunen sich zerreißenden Katarakte unter sich. Große schwarze Reifen werden zu Wasser gelassen, in deren Mitte sich die Teilnehmenden wie Schiffbrüchige ausnehmen, die planschend unpräzise Armbewegungen vollführen und sich damit abmühen einen Zusammenstoß mit anderen Pneus oder dem dichten Dickicht zu beiden Seiten des Flusses zu verhindern. Ich treibe auf dem Wasser dahin, Gedanken verflüchtigen sich, der Körper verfällt in eine träge Müdigkeit und Gelassenheit. und Hinter einer Kurve schlängelt sich das Gewässer an einem Felsmassiv vorbei. Zum Fluss weißt das rissige Gestein eine Höhlung auf eh es jäh senkrecht in die Höhe steigt. Mühsam reißen wir uns aus der, durch die vom Niederschlag erstarkte Strömung los, erstiegen den glitschigen scharfkantigen Stein. Fröstelnd versinke ich in der Betrachtung des angeschwollenen schmutzigen Stroms, seiner Wirbel und Strudel, in seinen Strömungen und Trübungen und dem mitgeführten Laubwerk. Auf der Rückfahrt, die Zigarette versöhnt mit Schauder und Zähneklappern, löst sich die Entkräftung in gelöster redseliger Heiterkeit auf.

Am Nachmittag streife ich mir meine klamme Jeans über, ziehe meine vor Dreck verfärbten Chucks über die klammen Socken, reibe meine Haut mit angefeuchtetem Tabak ein, ein unwohles Gefühl stellt sich ein in diesen steifen kleberigen Klamotten und begebe mich zusammen mit Julia in Richtung Parkeingang. Das Schicksal des Wetters holt uns keine Minute nachdem wir unsere Billets vor dem Kassenhäuschen in Empfang genommen haben abermals heim, ein gewaltiger Wolkenbruch prasselt auf uns nieder und durchweicht unsere ohnehin feuchte Kleidung. Unser Schuhwerk versinkt im aufgeweichten Morast, jeder Lufthauch schüttelt Millionen von winzigsten Tropfen von den Bäumen. Geheimnisvolle Pfade schlängeln sich in das Buschwerk. Ein muffig stinkender Odeur zeugt von der Anwesenheit von Tieren. Welcher Vierfüßler mag an jener Stelle wohl seine Pranke niedergesetzt haben? Ein Tiger, ein Elefant, ein Panter oder doch nur ein Affe? Dort wo die grauen Giganten dem Urwald ihren groben Stempel aufgedrängt haben, wird das Unterholz gelichtet durch zerborstene Bambusstangen, niedergetrampelte Sträucher, zerschlagenes Gesträuch. Im Schlamm, ihre Spuren: riesigen Fußstapfen als Fragmente, die die Vorstellung an durch den Urwald ziehende Familien dieser mächtigen Riesen beflügeln. Schmale Pfade führen zu kraftvollen Strömen, deren Wassermassen sich tosend in Kaskaden brechen. Entgegen des Mahnrufs des Hinweisschildes überqueren wir mühsam einen stark angestiegenen Wildbach, der sich einige Meter weiter herunterstürzt in eine Klamm. Wir wandern weiter auf einem winzigen Felssteig und bald wieder auf einem schmalen Pfad durch undurchsichtiges Tropendickicht. Ein Rascheln im Gestrüpp, Zweige die brechen, Sträucher die ahnungsvoll schwanken. Auf dem Rückweg vernehmen wir plötzlich ein Bersten von Ästen, eine Bande Affen erscheint in den Baumwipfeln über uns und nähert sich mit kecker frecher Furchtlosigkeit.

Das Wetter weigert sich weiter beharrlich sich zu bessern und so verlassen wir Kao Soak bei bewölktem Himmel, in ergebener Demut gegenüber weiteren Regengüssen. Der einstmals sauberen Wäsche entströmt ein feucht modriger Geruch nach Schimmel und Fäulnis. Der Autostraße 401 folgend erreichen wir schon relativ zügig Surat Thani, eine hässliche Transitstadt zwischen Chumphon und Nakhon Si Thammarat, angefüllt mit Banken und Stundenhotels. Ekel übermannt mich, nach dem wir die Glastür des Tesco Lotus durchschritten haben. Bankpolierte ockerfarbene Marmorimitationen fliesen den Boden, die klinisch saubere Luft scheint von jedem Odeur befreit. Mein Frösteln mag von der dauerbetriebenen Klimaanlage herrühren, nichts desto weniger übermannt mich ein Gefühl des Schams und der Trauer. Jedes Geschäft ein erneuter Beweis für die Begabung des Menschen sich immer wieder neuen materiellen Abhängigkeiten unterzuordnen. Nicht nur das Einkaufszentrum selbst, auch das Publikum gleicht mit seinen prall gefüllten Einkaufstüten unter dem Arm, seinen geschmacklos bedruckten T-shirts und namhaften Kunstlederschuhen in seinem unbedachten Geschwätzigkeit und seiner erschöpften  Geschäftigkeit dem westlichen Äquivalent. Als die an uns vorbeirauschenden Fahrzeuge erneut ihre Scheibenwischer betätigen, die aufgewirbelten Pfützen gegen die Bordsteine spritzen und die Stadt in stumpfen Variationen von Grau versinkt, Springfluten vom Himmel stürzen und die Abflussrohre nicht aufhören zu gurgeln und röhren, finden wir Unterschlupf unter dem Blechdach einer Autowerkstatt. Ein freundlicher Mechaniker, vom Öl geschwärztes Hemd, zerrissene Jeans, vernarbte, rissige Hände offeriert uns Wasser, man teilt seine Zigaretten. Es breitet mir immer ein zutiefst wohliges Gefühl, geschützt im Trockenen die Welt bei ihrem Untergang zu betrachten.

Gefangen in der Anonymität. Nach einstündigem Warten entscheiden wir uns schließlich den Rest der Strecke mit dem Bus zurückzulegen. Unser Ziel: Ein namenloser Strand an der Ostküste im Süden von Ko Samui, ein winziger weißer Schirm, eingerahmt in einem schwarzen Rechteck auf unserer Karte. Die ewige Eintönigkeit der im trüben Dunst vorüberschleichenden bewaldeten Höhenzüge, das nervenaufreibende Anfahren, Schalten und Abbremsen, das zeitlose Zischen der Hydraulik, die endlos vorbeiziehenden Pavillons der Wartehäuschen am Straßenrand, die deprimierten Regentropfen an den beschlagenen Fensterscheiben reizen und zermürben unsere Empfindungsstränge. Und mit jedem Gedanken senkt sich die Dämmerung weiter über die öde Landschaft.

Die Nacht hat bereits ihren Anspruch unanfechtbar besiegelt, als uns die Ankündigung des nächsten Halts aus unseren bleierneren Empfindungen zerrt.Die Trostlosigkeit unserer Umgebung, der deprimierenden zweistöckigen Wohnhäuser und der unablässige Strom der vorbeischnellenden Kraftfahrzeuge ruft die Frage wach: „Was tun wir an einem solchen Ort?“ Weit und breit ist kein Meer zu sehen. Das einzige Hotel, ein abweisendes heruntergekommenes Gebäude scheint schon seit Jahren  lehr zu stehen. Schlussendlich finden wir uns umgeben von Marktständen im Zentrum des Ortes. In großen gusseisenenden Töpfen schwimmen verschiedene Currys, auf Bratrosten schmorren Fisch und Würste. In kleinen Förmcheneisen erstarrt mehlige Knetmasse zu überzuckerten Küchlein. Kaufmänner bieten Fruchtspieße feil, vor Obstständen begutachten Mütter mit kritischem Blick die Auslagen. Mopeds bahnen sich knatternd und hupend einen Weg durch das emsige Treiben. Ein fiebriges Gespräch mit einer der Marktfrauen später, jeder zuvorkommende Wunsch uns zu helfen scheint an der Aussichtslosigkeit sich zu verständigen zu scheitern, stehen wir an der Intersection in Richtung Ozean.

Verloren scheint jedes Bemühen noch an diesem Tag die See zu erreichen, zu spät die Stunde, als dass sich die Menschen auf ihrem Weg von der Arbeit zweier einsamer Rucksackreisender annehmen würden. Diesmal ist es ein Schutzmann, der uns, sich seiner sozialen Verantwortung erinnernd, seinen Motorroller am Straßenrand abstellt. Und immer wieder diese Unsicherheit, nachdem man sich in fremde Hände begeben hat. Was wird passieren? Es bleibt nur zu warten, während sich die Ehefrau um einen sorgt, man telefoniert, findet sich auf der Polizeistation wieder. All diese Mühen und was währe am Ende anderes moralisch vertretbar, als schlussendlich dem Ermessen der Thais stattgebend, im Resort zu schlafen. Höchstwahrscheinlich verdankten wir es nur der Autorität unserer Begleitung, dass es uns an diesem Abend erlaubt war unser Zelt auf der überdachten Terrasse zwischen zwei Bungalows aufzuschlagen.

Eine Pagode, an ihrer Rückseite eine Stellage auf der eine versteinerte Buddha Statue eingefasst von brennenden Kerzen und Blumenvasen hockt, einige verzottelte Rüden auf dem Bürgersteig, dahinter ist deutlich die Brandung der See zu vernehmen. Nasser Sand zwischen den Zehen, eine Mole aus aufgeschüttetem unförmigem Stein ragt tief ins Meer. Die blinkenden Positionsleuchten von Fischerbooten durchbrechen die Düsternis der Nacht, manchmal zerrüttet das Klagen eines Triebwerks das Schweigen der Nacht. Heftige Böen blasen vom Meer herein, vom Festland flimmern einige wenige verloren Lichter zu uns herüber.

Beim Einkauf des Frühstücks am nächsten Morgen, den Bodensatz des Schlafes noch in den Augenwinkeln: den Fangertrag verladene Fischer, wettergegerbte runzelige Gesichtszüge, paffend eine Zigarette im Mundwinkel an den Kais, einige staubige Piers auf denen zerrissene Netze und abgewetzte Reepen und Taue einen Hinweis auf ihre einigste Aufgabe geben, Plastiktüten wehen über das zubetonierte Gelände, abgenagte Fischabfälle schlafen verlassen auf dem Erde.

Ein Fuß, der vorsichtig ins Wasser eintaucht, ein wehmütiges geheimnisvolles Funkeln in den Augen. Ein kurzer Blick zum Horizont. Kein Verlangen große Flüsse zu überqueren, Fußspuren im Sand als flüchtige Erinnerungen, bedächtiges Herum streifen ohne Ziel, der blauen Linie des Glücks folgend. Als mir meine Probleme entfielen, begriff ich, dass das Kommende in der Zukunft liegt. Wir aßen unsere Sorgen zum Frühstück. Wir ließen unsere Seele so einfach baumeln, wie unsere Beine, die wir über den Felsenriffen hängen ließen. Wir stapften über überwuchernde Saumpfade (Fischer grüßten uns von ihrer Jolle), am Strand bleibt Sand zwischen den Zehen haften, bunte Tücher wehen am Bug der Barken, vereinzelte Resorts liegen brach am Gestade, rätselhafte Ruinen aufgegebener Fischfarmen. Eine Erscheinung an der Küste: Ein Mädchen mit langem kohlenähnlichem Haar, auf ihrem Oberteil prangt eine große schwarze Katze. Ihr kleiner Bruder flitzt ihr voraus, vorwitzig umspringt er die beiden farang. Schüchtern wacht sie mit Liebe über den kleinen Zwerg, ihr folgen aufeinanderfolgend fünf winzige Katzen, die jedem ihrer Schritte nachfolgen.

Während ich mich meinem Tabak  widme, erklärt sich Julia bereit ein Restaurant auszukundschaften. Wie aus der Einladung zu einem Glas Wasser ein zweitägiger Aufenthalt in der Dorfgemeinschaft werden konnte ist ohne ein Bewusstsein über das muslimische Verständnis der Gastfreundschaft eigentlich nicht zu verstehen. Diese Entwicklung gehört sicherlich zu einem der wundervollsten Erlebnisse während meines Aufenthalts, die mich am meisten für die Kultur eingenommen hat. Wer würde in unserer Gesellschaft auf die Idee kommen seine Mahlzeiten mit zwei völlig fremden Reisenden zu teilen, die zudem seiner Sprache nur partiell mächtig sind, seinen Bungalow an abzutreten und einen Großteil seiner freien Zeit mit ihnen zu teilen. Diese letzten Tage unserer Reise lassen sich am schwersten in Worte kleiden: Wie diese Stunden beschreiben, die wir rauchend und schmausend mit dem Versuch zubrachten uns mitzuteilen, das befreiende Lächeln der Familienmitglieder, die in gemeinschaftlichen Miteinander ihr Essen einnahmen, all die zusammen verzehrten kanoums, chajens und gafees, der Ausflug auf den Markt im Motorradhänger, die Kokosnüsse, die man nur von den Palmen zu trennen brauchte um ihren Saft abzugießen, die sich in Schauern entladene Luft nach der Schwüle des Nachmittags, während derer jeder still dahockt und der Melodie der zerbrechenden Topfen lauscht. All dies folgte einem aus Kok Payom längst bekannten Metrum, stellte ein längst geläufiges Gleichmaß dar, trotzdem erfüllte mich das Verweilen an diesem Ort in einem besonderen Maße. Ich war in diesen Tagen erfüllt von dem behaglichen Gefühl, nach einer Zeit in der Fremde an einen längst bekannten Ort zurückzukehren, gleichwohl ich noch nie in diesem Dorf gewesen war. Wir wären sicherlich noch länger verweilt, wenn wir gekonnt hätten, doch zwang uns die Tätigkeit Julias zu frühzeitigen Aufbruch. Es war kurz vor unserer Abreise, wir warteten gemeinsam mit unseren Gastgebern auf das Auftauchen eines Busses, als ich die Klarheit erlangte, dass ich ein Stück Heimat gefunden hatte.

Every Seed Is A Longing

18. November 2010 - Leave a Response

Auf meinem Weg zur Schule begegnen sie mir immer wie sie mit gebeugtem Rücken Bündel kleine grüne Halme in den Schlamm setzten, die dreckbeschmutzten Beine im schlammigen Grund. Diese freundlich aufblickenden Frauen, ihre Gesichter unter ausladenden breitkrempigen Strohhütten vor der sengenden Sonne schützend. Ihnen zu helfen, meine Füße selbst in diesen feuchtwarmen Mud zu versenken und mit meinen eigenen Händen zu pflanzen, ohne das Leben hier nicht vorstellbar wäre, diese kleinen ovalen Körner, die sinnbildlich für das Ernähren stehen.

Was mir in Erinnerung blieb von dieser Arbeit in den quadratischen Schlammfeldern unserer Existenz ist das Eintauchen meiner Beine in den warmen glitschig zähen Morastes, das zahnlose spöttische Gelächter der wortkargen Frauen angesichts meiner in der bräunlichen Brühe auseinanderfließenden, dahintreibenden Stängel. Das Hin und Herschleppen von Büscheln von Reißablegern, mein Daumen der tief in der modrigen Feuchtigkeit versunken den Setzling zudeckt und meine Hand die fast zärtlich die kurzen grünen Halme glättet.  Das Betrachten meiner, von einer schwarzen Kruste überzogenen Unterarme, während ich eingeschlossen von senkrechten Adern von grünen Schäften mir einen Weg aus dem Morast bahne.

Dieses Gefühl eine Einheit zu formen, zusammen mit diesen braungebrannten Frauen einem Ziel entgegen zustreben, ein stilles Verständnis durch das gemeinsame Mühsal. Ein Büschel Setzlinge fest an die Brust gedrückt verschwinden sachte Schössling um Schössling im Matsch, während sich Bündel der wortkargen Bäuerinnen immer schneller verbrauchen, die in der gleichen Zeit zehn Ableger pflanzen, in der ich einen vollende. Belustigt über meine Unfähigkeit amüsieren sie sich in ihrer Sprache, allein ihre erheiterte Unterhaltung ist schon reichliche Entlohnung für mein Schaffen. Felder um Felder, nicht enden wollende zu bewirtschafteten Fläche und dann gegen Mittag entfernen sich alle gleichzeitig, zeigen zum Abschied ihre gelben schiefen Zähne, heimwärts gehend oder sich auf ihre Motorräder schwingend.

Verlorene Schlüssel Zum Paradies

18. November 2010 - Eine Antwort

Fortschritt, ist eines dieser beschönigenden Begriffe, hinter dem sich die Gier einer bourgeoisen Elite nach Profit versteckt, eines dieser beaux mots die die Aufopferung des Schicksals einiger Individuen gegenüber der Verbesserung der Stellung der wirtschaftlichen Gemeinschaft rechtfertigen wollen.

Warum diesen Blogeintrag mit einem solch pathetisch moralisierenden Präludium beginnen. Das schwarze Gold erwarb seinen Namen nicht nur wegen seiner Färbung, sondern auch wegen des moralischen Bruchs, der derjenige befiehl, die nach ihm um des Profites wegen strebten, die Fabrikanten, Raffiniere, Eisenbahner und Geschäftsmänner.

Hinter dem Namen Pak Bara Projekt versteckt sich eines der größten Bauvorhaben Südthailands, ein Koloss an Eisen, Schweiß und Stahl, Asphalt und Schmerz. Ziel ist den Seeweg der Containerschiffe, die vollgepumpt mit Öl ihre Rauchmittel dem zivilisierten Stier der Maßlosigkeit opfern zu verkürzen, indem man eine Landbrücke durch den südlichen Teil Thailands schafft, den Bau von Atomkraftwerken und die Zerstörung eines Nationalparks eingeschlossen. Inseln die in der Luft verpuffen, wie Asche, die von einem Zigarettenstummel fällt, in Jahrzehnten zusammengewachsene Dorfgemeinschaften die von Asphaltmonstren entzweit werden, eine Generation, deren Kinder nicht mehr unter Palmenhainen sondern auf Bahndämmen und in vergifteten einsamen Docklandschaften Verstecken spielen, Bulldozer die auch den letzten Klecks Gelb eines einsamen Löwenzahns unter Metern aus unverrückbarem Grau zu verstecken suchen.

Schließlich wird auch der letzte Fischer seine Angel entkräftet zur Seite legen und sich in eine blaue Werkuniform zwängend einem Leben zwischen dem Gestank von Kerosin und Kalilauge, Kränen und Containern zuwenden.

Eine weißgetünchte Turnhalle bei Nacht mit ihrem unpersönlichen sterilen und kalten Turnhallencharme, die Deckenfluter hell erleuchtet. Fünf Plakatbahnen sind aus dem Boden ausgebreitet, Farbtöpfe und eingetrocknete Pinsel, dazwischen emsige Gestalten, die in der Halle herum wuseln. Sechs übermüdete Freiwillige, unvorbereitet konfrontiert mit dem  Engagement dieser Individuen, ihrer verzweifelten Hoffnungslosigkeit. Entmutigung angesichts des Ausmaßes diese Zerstörung, Resignation, Mangel an Information, Suche im Dunkel des Halbwissens der Ungewissheit und der stille Glaube mit der Musik des Herzens Gehör zu finden bei den Tauben.

Vorbereitung des Konzerts am nächsten Tag. Tugendhafte Mädchen,  die emsig T-Shirts zurecht falten und nach geordnet auf einem klapprigen Eisentisch ausbreiten. Ich komme mir ein wenig überflüssig vor, befestige hier ein paar Plakate an Zeltstangen, unterhalte mich dort ein wenig mit einem der Angestellten des Nationalparks, schlendere über die rot gepflasterte Promenade, während die Trödler, Eisverkäufer und Getränkehändler ihre Stände ausrüsten. Gegen Nachmittag ruhen wir unter Kokospalmen am Strand, hinter Restaurants und Wohnhäusern, aus denen das Lachen von Kindern oder das Dröhnen eines Radios ertönt, Geräusche die geschluckt werden von der drückenden Schwüle, die diesen Tag wie eine Glocke einschließt.

Auf meinem Rückweg schließe ich dem Strom der Menschen an, die den Bürgersteig entlang wallen, vorbei an Kolonnen sich am Bürgersteig auffädelnden Motorrädern und Patrouillen von Soldaten, ihre Maschinenpistolen lässig umklammernd. Ein massig bleiche Person bietet mit großem Eifer und volltönendem Klang kleine Aufkleber feil, lachend schließe ich mich Bobby an und versuche die Ankommenden mit akzenthaften Thai-Brocken auf mich aufmerksam zu machen, schlendere durch die Grüppchen von rauchenden Jugendlichen und picknickenden Familien um ihnen die immer gleichen Ausrufen entgegenzurufen.

Als gegen Abend sich die aufgestaute Energie entlädt, flüchtet man sich unter die weißen Zeltdächer. Man steht dichtgedränt zwischen Plastiktüten mit Wasserflaschen und Curryreis und Lautsprechern. Aus einer Gruppe von Halbstarke löst sich einer der Youngster, auf seinem Oberteil, der riesige Korso Bob Marleys und fordern mich auf seinen Gürtel zu betrachten: Der Kopf Ché Guevaras, mutig in die Ferne blickend vor einer Karibiklandschaft. Stolz schwenkt der Bursche seine Handtasche, auf der weiß auf rotem Grund die Lithographie „Coca-Cola“ zu lesen ist und doch finden wir uns für eine Sekunde zusammengeeint, als der Qual unserer Zigaretten sich in die kalte Luft erhebt. Den Kopf gefüllt mit Bildern dünn bekleideter Frauen, die Gedanken ewig um diesen Traum von Marihuana und Freiheit kreisend sind diese Jugendlichen Sinnbild einer Generation an der Schwelle zwischen Tradition und Moderne in einem Land voller Wiedersprüche, das Gestrandete, dass zu ihnen aus dieser anderen Realität herüberschwappt sehnsüchtig einem Puzzle gleich zusammensetzend, das nur wenig dem Original gleicht.

Ich flüchte vor der Enge, schlängele mich in Richtung Bühne und überall sind diese Tweens, die mir Sätze zuschreien, die sich in meinen Ohren wie Obszönitäten anhören, die mein Unverständnis mit unverschämter Schalkhaftigkeit beantworten, die mit wippenden Knien und schlackernden Armen Tänze vollführen, die ihre aufgesetzte Männlichkeit Lügen strafen.

Die Harmonie Von Sonne Und Mond (Part Two)

18. November 2010 - Leave a Response

… Hinter einem Restaurant waten wir, die Flip-Flops in der Hand zu einer kleinen Longtailschaluppe, die sich schleppend gegen die Wellenkämme aus der Bucht entfernt und sich an der Küste haltend vorbeischippert an  abenteuerlichen Felsformationen und unerforschten Höllen, durch die Jahrtausende hinweg ausgewaschen von Millionen von salzigen Wogen.

Die Erinnerungen an meine Tage in Railey verblassen langsam. Ein steiniger Weg, der zu unserer Bungalowanlage, kleine Zweimannflachbauten, ausgestattet mit einem geräumigen Bett, Dusche und europäischer Toilette hochführt, vorbei an einigen Shops und Restaurants, Urwald und Bauzäunen. Weißer Sand, der sich bei Flut unter einer Decke aus friedlichem Azurgrün versteckt, Liegestühle unter Palmen (Bedauern über einen fehlenden bouquin). Ein mit feinem Sand und Muscheln bedeckte Küstenstreifen, deren Untergrund  bis in einen kleinen Fußwegs, getragen wurde an dem, gegenüber einer Hütte mehrere aus Bambusstäben zusammengenagelte Pavillons stehen, die Schatten spenden für begeisterte ihren Bananenmilchshake schlürfende Kletterer.

Bei niedriger Tide kraxeln wir über rissiges Gestein durch von Algen bewachsene Felsbecken,  in denen sich das Wasser sammelt, klettern über Steinformationen hinweg auf unserem Weg nach Railey.

Die Dämmerung hält früh Einzug in diesem Teil der Erde. Der Mond, ein runder leuchtender Ball am finsteren Himmel, mit all seinen Nuancen von Hellgrau und Weiß, schien hell in dieser Nacht, in der wir bis spätabends aus großen von Strohhalmen und Eis überquellenden blauen Eimern Whiskey mit Red-Bull tranken, die grüne Plastikblumen zierten, Weich und gemütlich unter mir nach gab das Bett unter mir nach, nachdem ich relativ früh, leicht schwindelnd im Kopf von der Gesellschaft verabschiedet hatte. Konfuse Irrlichter geisterten in dieser Nacht durch mein Hirn, in der Umwölkung eines Traumes flaniere ich auf dem schmalen Grad zwischen Realität und Fiktion, wandle ich umher auf dem kleinen asphaltierten Pfad zwischen den Ferienapartments, während der Mond in seiner vollen Größe über mich wacht, langsam weicht die Trübung meiner Sinne, ein einsamer Rückkehrer  wendet sich im Vorbeigehen besorgt um zu diesem einsamen Wanderer, der einzig bedeckt mit einer Boxershorts verwirrt in einem Zustand völliger Verwirrung zwischen den Welten spaziert. Die Türe ist verschlossen, vielleicht für Stunden saß ich auf einem Plastikstuhl auf der Terrasse vor dem Haus, verrückt in einer anderen Wirklichkeit, unerreichbar für unseren Wirkungsbereich. Dann hüllte mich die Angst des Wirrsals ein. Fragen, die sich ein Traumwandler stellt: „Wie komm ich hier her?“, „Wie finde ich zurück?“, „Wie komme ich dorthin zurück, von wo ich gekommen bin?“. Aufgelöst, noch nicht in der Lage, dass Geschehene zu realisieren, klopfe ich an der Türe, die ich für die richtige erachte. Welche der emaillierten Chiffren führt mich zurück? Ein verschlafener in seiner Nachtruhe gestörter Bobby öffnet mir, mürrisch weißt er mir den Weg. Ein zerzauster Jakob, resignierend gegen diesen Eindringling seiner Rast entriegelt das Tor zu meinem tiefen Hingang.

Am frühen Mittag sitze ich im Schatten von Palmen, beobachte einen erneuten Umschwung der Gezeitenströmungen, eine sachte Versenkung in das Näherrücken der Brandung. Ein heiliger Platz, einiger der wenigen Orte an dem ich inmitten dieses ungenutzten Urlaub Erholung finden soll. Das Sich Sammeln hat seine Zeit, in diesen Tagen in Einklang mit der empfangenen Erde zu stehen fällt schwer, Kreativität dort zu entwickeln, wo keine Leidenschaft, kein Handeln vorher war scheint unmöglich. In diesem Umfeld mutet es nutzlos an, Thai-Vokabeln Phasen einer Sprache zu sprechen, deren Bevölkerung so weit von ihren Wurzeln entfremdet wurde. Ich suche Nutzen in diesem Leben, am  Nachmittag biete ich mich einigen jungen Frauen an, Knoblauch mit ihnen zu schälen. Die Leute verstehen nicht. Verdammt zum Konsum, zum Empfangen, dort wo das eigene Glück im Geben liegt. Der Strand verliert immer mehr an Substanz, wird geschluckt von den Gezeiten. Jakob setzt sich zu mir, wir gehen unserer Wege. In diesen Tagen verenden meine Flip-Flops, beim Patschen durch einen Tümpel, den rechten Fuß mit dem linken gleichziehend. Ohne Sohle überquere ich einen Berg durch einen Urwald wandernd. Beim Abstieg bin ich gezwungen mich an einem Tau festzuklammern, mehr rutschend als schreitend, trippelnd und tänzelnd, stolpere ich das Gefälle herunter, während mir kantige Kiesel und zackige Felsbrocken in die Füße schneiden. Auf ein Fallen des Wasserspiegels wartend, verbringe ich die Zeit auf der Weidenmatte einiger Angestammter, die mich nicht ohne Hintergedanken zu sich einladen und mein Dasein akzeptierend, es schließlich aufgeben mir ihre Fußmassagen verkaufen zu wollen. 

Am Abend wird Railey zu unserem Gefängnis, als der einzige steinige Küstenweg zu unserer Heimatbucht sich unter der Dünung verbirgt. Warten: Das rechte Gleichgewicht will sich nur schwer einstellen. Auf einer Kaimauer, die sich über dem Linie aus Sand erhebt, vor einem weitläufigen Resort, dessen Liegestühle sich menschenleer aufreihen, berichten Jakob und ich uns von unserm Leben in Deutschland, in unserer Mitte eine schmale gewölbte Flasche bräunlich glänzenden Thai-Whiskeys. Am nördlichen Küstenstreifen, an dem Wasser bis an den schmalen Gehsteig platscht, da wo sich die Touristen tagsüber zwischen entgegenkommenden Menschen und den Eingängen der Gaststätten und Lokale hindurchzwängen, gibt der Rückgang der Tiede einen dunklen Morast frei, in dem ein paar verlassene Mangroven ihr verästeltes Wurzelwerk eingegraben haben. Zu einem Zeitpunkt, in dem auch die letzten Bars zugeriegelt, das letzte Restaurant seine Gäste entlassen hat, trifft man einzig eine Gruppe betrunkener Amerikaner auf dem Heimweg, zu dieser Uhrzeit in dem diese Stadt in Leblosigkeit versinkt, die Fassade des Parallelkosmos zerbröckelt da die Subjekte, die diesem Ort ihren Stempel gaben sich in ihren Hotels befinden, ihren Kopf auf weiße weiche Kissen gebetet.

Erst gegen neunzehn Uhr erreichen wir Hat Yai, zu spät für einen Minivan nach La Ngu. Barfuß ziehe ich hinter dem Trupp von Freiwilligen her, die dieser Nächte Unterschlupf finden, bei der Familie von Alif. Ein kleiner gefliester quadratischer Raum, an dessen Rückseite ein Durchgang wahrscheinlich in einer Kochnische mündet.  Am Platz knien an die zehn Personen im Kreis, oder sitzen auf dem einzig verfügbaren Sitzmöbel, einem ockerfarbenen Sofa mit Stickereien, die Szenen eines Dorflebens zeigen, im Kreis, in ihrer Mitte ein Stapel Fotographien, dessen oberes Aufnahme eine Familie vor einem Wolkenkratzer. Während ihres Urlaubs in Malaysia zeigt. Vor dem Wohngebäude sind auf einer metallenen Tonne Plastikflachen gefüllt mit Gasolin platziert. Ein Kind betritt den Räumlichkeit  von der Kehrseite, eine Kasserolle mit Reis und ein Tablett mit diversen Schüsseln mit Curry, gebratenem Fisch und Omelette tragend. Später gen Tagesende sitze ich  umringt von Töpfen mit Knetmasse, nächst zu verknöcherten Frauen voller  tiefer Mulden im Gesicht, die sich über mich erheiternd, für die ich kleine Runde Kügelchen schwarzer zäher Masse in einen mehlig süßen Teig einrolle.

Über die schmutzige Straße pilger ich mit nackten Füßen zum Markt, auf dem ich schließlich neue Flip-Flops erstehe. Einen Plastikbecher Eistee, diese übersüßte Huldigung an die Kondensmilch, aus dem ein rot-weiß gestreifter Strohhalm ragt in der Hand lassen wir uns von der Energiewelle dieses Ortes mit spülen. Bündel von Bananen, die von den Unterständen der Gemüseverkäufer herabhängen, riesige Knäuel intensiv duftenden Tabaks, lederne Brieftaschen gefälschter Herkunft, kleine Plastikschalen, mit Kleinoden und Plunder vollgestopft: dreiteilige Packungen Feuerzeuge, Schlösser, Taschenspiegel, Küchenbesteck und –gerät (Messer, Gabel, Löffel, Flaschenöffner, Büchsenöffner Handreiben und Stößel), Heimwerkerausrüstung (Zangen, Handbohrer, Schraubenzieher, Schmieregelpaper, Hämmer, Nägel), Wörterbücher im Taschenformat, Gewürze und Gemüse, Cola und kolorierte Limonade, DVD Verkäufer, Schuhverkäufer, Bekleidungsverkäufer…

Ansonsten gibt es wenig mehr zu berichten mit Ausnahme von fehlgeschlagenen Versuchen Geld abzuheben und einem Ausländerzuschlägen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Die Harmonie Von Sonne Und Mond (Part One)

8. November 2010 - Leave a Response

Zwei Inselurlaube, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und die Erkenntnis, dass eine gleiche Pigmentstruktur selten als Kennzeichen für eine gemeinsame façon de penser dienen kann.

Mangosalat und Kokosnüsse,  Jugendbanden in hippieesker Kleidung, einer aus dem Steckbaukasten des Konsums und  des Rauches entsprungenen Welt der Hirngespinste nachhängend, in der eine  Melange aus Marihuana, Bob Marley, Coca Cola und Ché Guevara keinen Wiederspruch beinhaltet, Väter im mittleren Alter, die den vorbeilauenden farang aus ihrem Campingstuhl zu sich rufend und im Versuch eine Brücke zwischen Lebenswirklichkeiten zu knüpfen, europäische Fußballclubs aufzählen und unangenehme Stille mit dem Offerieren von thailändischem Whiskey, gemischt mit Wasser zu überbrücken wissen. Freude weicht Beklemmung wenn man selbst nicht mehr bieten kann als die Beantwortung kläglicher Fragen nach Alter, Wohnort und Herkunft. Es stimmt traurig, wenn die Bekräftigung, dass das Essen gut schmeckt und Thailand ein wunderschönes Land ist, die einzige Form des Badankens bleibt. Der Austausch Feuerzeug und Tabak wird zum seltenen Anlass zur Kommunikation, wenn die Müdigkeit am Abend einen davon abhält sich dem Zermürbens des sich Nichtverstehens zu widmen. Eng beieinandersitzend auf mehreren hanfgewobenen Picknickdecken das Geräusch der Brandung  des Meeres, von dem einzig der dünne weiße Streifen der Gisch sich durch die Variationen aus Schwarz absetzt, vor sich am Ufer, erkennt man in einer simplen Akkordfolge ein Element der Verständigung, dass über sprachliche Barrieren hinaus funktioniert. In die Sterne schauend, im Ohr die vertraut verträumten Seufzer eines skandinavischen Folksängers,  sind wir Volontäre an diesem Abend nur zu einer Hälfte in Thailand, während ein Teil immer noch in Nostalgie diesem letzten verdammt genialen Monat nachhängt, in  trauriger Verklärung über all diese Straßencafés, Kinofilme, Theater , Museen und  berauschenden Clubnächte  sinniert, und eine weitere partie des Gehirns sich bereits in schillernden  Einzelheiten der Zeit nach der Rückkehr widmet. In dieser Nacht darf Europa noch einmal  als idealisierter Ballungsraum der Kultur,  als eine  Brutstätte der Künste, als ein Hort der demokratischen Partizipation und als Heimat zelebriert werden,  bevor die unsichtbaren Fäden der Erinnerungen, die uns mit diesem  Ort verbinden, ganz allmählich einreißen.

Am nächsten Morgen zerreißt mein Flip-Flop beim durch den Mangrovenwald, durch grünes Blattwerk, zwischen den Stämmen kolossaler Baumriesen hindurch. Unausgeschlafen und müde, ohne Sinn für die Schönheit der Natur, trotte ich barfuß den schmalen Pfad zum Strand zurück. Es ist unerträglich heiß, ich fühle mich schon seit dem Moment meines Aufwachens ausgedorrt, die Sonne stand schon relativ weit erhoben über der blauen Linie an der Kimmung hinter der sie sich erhoben hatte. Der Schlafsack, welcher in der Nacht zumindest psychologischer Schutz gegen das Trippeln der Krebse gewesen war, wird am Morgen zur Speicher angestauter Wärme.

Und dann der erste gemeinsame Urlaub unserer damals noch recht überschaubaren Freiwilligengemeinschaft, die schon an diesem Punkt, erste Anzeichen von Zerwürfnis aufwies, wobei diese Tendenzen, trotz leicht veränderter Bühnenbesetzung nicht nur andauert, sondern sich im Gegenteil sich noch verstärkt zu haben scheint, in dessen Verlauf ich dieses andere Thailand, eine mir bis dato verborgen gebliebene Parallelwelt kennen lernen sollte, ein Ort an dem die Bevölkerung ausschließlich vom Tourismus lebt und in der herumschlendernde farang per Hautfarbe selbstredend als potentieller vermögender Kunde klassifiziert wird. 

Ein Ausflug der Schule in das von hedonistischen Westlern als Ausgangspunkt für Tagesausflüge genutzte Ao Nang diente uns als Chance für einen Entspannungsurlaub in Railey. Morgens um halb drei sah der aufmerksame Beobachter mehrere Gestalten, sich aus ihren Matratzen erheben und sich die verquollenen Augen durch ein stilles Kok Payom trabend. Am Dorfrand bot sich ein ungewöhnlicher Anblick von Leben zu dieser Uhrzeit, Horden von, um die Füße ihrer Eltern herumtollender  erwartungsvoller Kinder, auf den Stufen der kleinen Polizeistation eine Gruppe von Lehrer. Dieser Lebendigkeit ein Symbol der Ruhe entgegensetzend, das ruhige Aufleuchten und Erlöschen des Neonlichts eines Warnsignals.  Für mich, der ich noch halb in dieser Parallelwelt des Traumes verharre, gewinnt diese Situation etwas verschwommen Konturloses und Surreales, als wer die Szenerie selbst teil einer Fiktion.

Die Rückbank des Busses nimmt eine u-förmige Sitzformation ein, auf dessen harter Bepolsterung ich die nächsten Stunden vergeblich  versuche Ruhe zu finden. Immer wieder eindösend, weckt mich ebenso oft der infernale Krach der Lautsprecher.  Die Pausen zwischen den Vorführungen von Trickfilme werden gefüllt durch schlechtproduzierte Musikvideos mit eindeutigem blue screens, in denen schmachtende Sängerinnen mit hohem Vibrato die Stunden des gebannten Wartens auf ihren Geliebten besingen. Die bittere Kälte verwandelt sich nach Tageseinbruch in eine drückende Hitze. Gemartert durch die dröhnende Beschallung und die Folgen des Schlafmangels verkommt die Besichtigung eines Aquariums und fossiler Rückstände zu einem beschwerlichen Trott, dem erst der Lunch am Mittag an einem von hohen dichten Bäumen bestandenen Platz am Strand Abhilfe schaffen kann. Eleven, in ihren gelben Polohemden und blauen Trainingshosen tollen am Küstenstreifen, springen über Wurzeln, beugen sich über Aluminiumschalen mit Curry. Schülerinnen, mit hellblauem Kopftuch sitzen auf Baumstümpfen grüppchenweise zusammen, kichernd, ihr Gesicht abdeckend hinter  knallbunte Poesiebücher, schreien „Pie Yussup“ und halten mir Plastiktüten mit Ananasstreifen entgegen…

But It Is Good That We Do Not Have To Try To Kill The Sun Or The Moon Or The Stars

3. November 2010 - Kommentare deaktiviert für But It Is Good That We Do Not Have To Try To Kill The Sun Or The Moon Or The Stars

Regen: Tropfen um Tropfen, Schauer um Schauer, Nieselregen, abermillionen von Tropfen, die der Himmel in diesen Tagen über uns entlässt, Platzregen, folgt auf Nieselregen. Wolkenberge türmen sich über uns auf, eine lichtundurchlässige Landschaft, in denen die Nuancen von Grau und Schwarz die einzige Veränderung bleiben.

Und noch ein Inselbesuch: Zielort: ein kleines Eiland in der Nähe Pak Bahras, Tarutao National Park. Anlass unserer Reise ist diesmal das sechsjährige Bestehen unserer Partnerorganisation DaLaa mit entsprechender Gästeliste: sämtliche Freiwillige aus Klong Daen sowie Kok Payom, eine vollständige Delegation der Koordinatoren aus Hat Yai, ehemalige Workcampteilnehmer und inaktive Mitglieder aus den Kindertagen der Organisation.. Kurzum ein buntgemischtes Grüppchen.

Die Hinfahrt gestaltet sich als scheinbar endloses Ankämpfen gegen die Wellenkämme, als langsames dahinkriechen, als unendliche Trägheit des Kahns gegen das Pinball Spiel der Wogen und die Kraft des Windes. Der Strand ist ein nicht besonders schöner schmaler Sandstreifen, der zum Land hin leicht ansteigend, von Geröll und Muscheln begrenzt wird und an dem sich einige wenige Hütten und Bungalows aufreihen. Lesend, die Ellbogen auf das Gerippe eines angespülten Baumstumpfes gelehnt, immer wieder Zigaretten für Elsa und Bobo drehend, lehrt sich der Strand allmählich, haben auch die letzten ihre Unterkünfte bezogen, ihre Zelt montiert und zerstreuen sich langsam. Gegen Abend, die Sonne geht gerade unter als Jakob und ich am anderen Ende der Insel in unseren Flip Flops am Wasser langwandern, auf einem weitaus breiteren Sandstreifen entlang, von hohen Kokosnusspalmen mit weitgefächerter Krone umgürtet, deren Konturen langsam in der Dämmerung verschwimmen, wehen Böen die ersten Tropfen vom Meer herein. Wie definieren wir unsere Aufgabe als Volontär? Welche Prioritäten setzen wir uns selbst?  Welchen Stellenwert geben wir dem kulturellen Lernen, welchem dem Reisen und in wie fern unterscheiden wir uns auf Wanderschaft von überhaupt noch von dem gewöhnlichen Touristen? Herumirrend finden wir schließlich zurück auf den beleuchteten Pfad. Nach dem gemeinsamen Abendessen, ein großer Kreis von hungrig wartender Menschen, in deren Mitte Fischplatten, ein Teller mit Gemüse und ein großer Topf mit bereits erkaltetem Reis steht, finden sich all grüppchenweise in dieser Bar ein, die auch am nächsten Abend Treffpunkt unser Gruppe werden soll. Benebelt stolpere ich nach Mitternacht allein die vom Regen glitschigen Stufen zum Ozean herunter, der Wind schlägt mir ins Gesicht, während ich meine Matte unter einem Pavillon ausbreite und in meinen Schlafsack krieche. Eine eisige Brise fegt über mein Nachlager, mich friert, während die Böen immer wildere Fluten an der Küste zerschellen lassen.

Am nächsten Morgen ist der Strand schon lehr, als ich aus meinem Schlafsack steige und mir mit verklebten Augen die erste Flupe am Morgen drehe, mir heißes Wasser über die Instantkaffeelösung aus Milchpulver, Zucker und schwarzen Flocken gieße und schon erkaltete Chinanudeln mit einer kläglichen Menge Gemüse in meinen Mund stopfe.  Ich weiß nicht so recht was ich mit mir anfangen soll, in einem fort regnet es Bindfäden vom Himmel, das ein peitschender Wind. Mein Mund fühlt sich pelzig und trocken an, ich fühle mich unwohl, ungewaschen und müde. Unruhig verbringe ich den Tag, lese, höre ein wenig Musik, sitze herum, plaudere halbherzig mit ein paar ansässigen Insulanern kaufe mir neuen Tabak, die Frau eines pensionierten Franzosen, der hier seine neue Heimat gefunden hat, verkauft Schokobrötchen und Zimtschnecken in einem rosernen Wäschekorb. Am Abend löst sich meine bedrückte Stimmung nach einer Dusche in der Finsternis eines Bungalows, während der Stunden in denen die Elektrizitätsversorgung der Insel lahmgelegt ist. Draußen tobt der Sturm, während wir uns in einer winzigen Küche im Schneidersitz in einer Nische zwischen Kühlschrank und Wand gierig um eine Schüssel mit gebratenem Gemüse quetschen. In der Bar herrscht eine gelöste Stimmung, sich auf Polsterkissen ausbreitend sitzt man um knietiefe Holztische herum, auf denen sich lehre Bierdosen stapeln, leere Zigarettenpackungen liegen und gefüllte Aschenbecher stehen. Eine kleine Gruppe spielt Jenga, einige haben große Bongatrommeln vor sich platziert, traktieren die bespannte Lederhaut mit ihren Handflächen, verlieren sich in wilden Rhythmen, andere unterhalten sich. Sakarin kniet am Rand einer Menschengruppe, nachdenklich lächelnd. „Woran denkst du?“ „Glück“ antwortet er und schmunzelt. Später tanze ich im Regen, lasse meine Arme wie Rotorblätter um mich kreisen, während Bobby McFerrin sein „Don’t worry, be happy“ pfeift. Wieder schlafe ich mit dem Gesicht zum Ozean gewandt ein, während mein Schlafsack im schneidenden Regenwind flattert und während der Nacht immer wieder Wolkenbrüche meine Decke mit klammer Feuchtigkeit belegen.

Als wir uns um acht Uhr morgens versammeln ist die See ein einziges tobendes Monstrum aus weißem Schaum und zornigen Wogen und reißenden Studeln. Ein leichtes Nieseln setzt ein, als wir unter dem in dunklen Pastellfarben gemalten aschgrauen Himmel unsere Boote beladen und, uns vom Strand entfernend hinein geschleudert werden in das Epizentrum dieses Ungetüms aus Gischt und Geifer. In minutenschnelle ist meine Kleidung durchnässt. Auf einer der hinteren Bänke weint ein Kind. Unser Kahn schlingert durch bodenlose Wellentäler, erkämpft Kämme, gewaltige Wogen bringen unsere Barke fast zum kentern. Irgendwann, als der Geist schon damit begonnen hat sich in einer lethargischen Trägheit, unempfindlich für die Geschehnisse der Außenwelt, einzurichten, sich in einen Zustand der teilnahmslosen Trance zu flüchten kann man im Dunst vor uns schließlich den dunklen Schemen des bergigen Küstenstreifens erkennen. Vor Kälte bibbernd trennen wir uns am Hafen zwischen Fischkuttern und Kartenverkaufsständen für Ausflugsschiffe von unseren Freunden aus Klong Daen.

Einen Tag später erfahren in den Nachrichten: Hat Yai ist überflutet, das gesamte Zentrum der Stadt steht unter Wasser, vom Bahnhof ist nicht mehr viel zu sehen, als braune schäumende Fluten. Auch das DaLaa Office ist von der Außenwelt abgeschlossen, für alle Küsten erden allerorts Sturmwarnungen ausgerufen. Nur hier, direkt am Fluss, wenige Kilometer vom Meer entfernt bleibt alles ruhig.

Dharma Bums Strolling Arround In Southern Thailand (Part One)

20. Oktober 2010 - Leave a Response

Überspringen wir einen Teil meiner Chronik. Übereilte Reisevorbereitungen in Kok Payom, Zusammenfalten des Zeltes, Waschmaschinenladungen an noch feuchter Baumwolle landen im Rucksack. Bei offenem Fenster dem Volontäralltag entkommend, auf der Durchreise durch La Ngu wird die letzte Ruhepause für einen Zwischenstopp im Internetcafé genutzt. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen Julia und ich Trang. Traumwandelnd durchqueren wir Kolonen von in Weiß gekleideten Kindern. Ekstatisches Flötenspiel und asyrythmischer Trommelschlag verklingen im Gewirr der Straßen. Mit schwerem Gepäck schlendernd über den Straßenmarkt, und dann lassen wir auch dieses Menschengewirr, die Verkäufer hinter ihren Ständen, die Touristen mit ihren Plastikbechern, diese Welt aus süßer Limonade, und vom Fett glänzenden Backwaren hinter uns. Abfallberge und leere Marktstände säumen die Nebenstraßen, verzottelte heimatlose Hunde schleichen um die beiden Eindringlinge, Gekläffe in verlassenen Hinterhöfen. Irgendwo abseits der belebten in helles Neonlicht gekleideten Hauptstraße, da wo der Schein der Straßenlampen spärlicher, der fade milchig warme Schein der Lampen schließlich kalt und hart auf den bodenlosen Beton fällt, und das Röhren von anfahrenden Motorrädern nur noch als blasser Schatten seines voluminösen Getöses existiert, empfindet man in der Abgeschiedenheit dieser surrealen Zwischenwelt das Klappern von Geschirr, das Raunen von Stimmen als wohltuendes Zeugnis der menschlichen Existenz. Zwischen leeren Tischen, Plastikhockern und stummen Häuserversaden findet man kurz vor Verkaufsschluss schließlich eine Mahlzeit aus Spiegelei kaltem Curry und warmem Reis. Auf wieder belebteren Straßen, über Bahndämme, vorbei an Seven Elevens und Zehn Baht Ramschläden, eine kolossale Anhäufung an nutzloser materieller Sinnlosigkeit schlängeln wir uns durch Reihen abgestellter Motorräder, halb auf der Straße, halb auf dem Bürgersteig laufend raus aus dem Gedränge und der erdruckenden Enge dem Stadtrand entgegen, um zwischen Reisfeld und Ausfahrtsstraße einen versteckten Quadratmeter für ein Zelt zu finden. Angezogen vom Sog der Menschentrauben biegen wir durch eins dieser mit bunten Keramikziegeln verziertes Tor, das den Eingang jedes buddhistischen wats säumt. Über eine Treppe gelangen wir auf einen quadratischen Platz, der an drei Seiten von Tempelanlagen begrenzt wird. Gestalten in jungfraulichem Weiß durchqueren allerorts den menschengefüllten Raum zwischen den Gebäuden, entzünden Kerzen, deren Köpfe im Wind schaukeln. Der Geruch von Schwarzpulver der mit infernalem Lärm detonierenden Feuerwerkskörper erfüllt die Luft. Manchmal teilt sich die Menschenmenge, macht Platz für Gruppen von in bunten Gewändern gekleideten Männern, die in Ekstase ihre Köpfe schüttelnd unbekannten Göttern opfern. Wir, zwei bunte schwer bepackte Punkte, die sich unangenehm absondern von den herum schreitenden Gestalten saugen, fasziniert von der Spiritualität dieses lebendigen Ortes, die Energie der heiligen Stätte, in der sich Tradition und Religion auf so wunderliche Weise verbindet auf.

Man sieht uns unsere Verwirrung an, unweigerlich kommt die Sprache auf unsere fehlende Bleibe, gutmütig empfiehlt man uns Hotels, Gasthaueser, Bungalows. Uns höfflich bedankend, sich aus dieser unangenehmen Umklammerung lösend, hinterlasst diese fehlverstandene Hilfsbereitschaft einen unwohlen Nachgeschmack in der Magengegend, eine Impression Menschen zu enttäuschen, deren Hilfe man ausschlägt, nachdem sie ihre Zeit und ihre Mühe für zwei hilflose farang geopfert haben, auch nachdem wir flüchtend restlos weiter die Straßen herunter laufen.

Die letzten schmutzigen Tante Emma Läden, niedrige  Schuppen gemauert aus Wellblech, Holzbrettern, Blut, Schmerz und Verzweiflung liegen verlassen an dem graden Asphaltstrich.

Und schließlich, in dieser tristen unmenschlichen Atmosphäre finden sich Leute, die den Wunsch zweier Reisender nach einem simplen komfortlosen Schlafplatz verstehen. In einem Unterstand aus grauem Beton in einem Seitenflügel eines öffentlichen Sportzentrums schlagen wir unser Lager auf. In einem kalten gesichtslosen Keller, der nur vom Schweiß der zwei verbliebenden Jugendlichen, fuer die dieser Platz als Rückzugsort gegen ihrem traurigen Alltag dient, durch diesen Sport aufgewärmt wird beschließen wir den Tag, Ping Pong spielend.

Weiter gen Norden in Richtung Krabi, ohne Ziel, ungewaschen, in verklebten Klamotten verbringen wir die Zeit bis in den späten Nachmittag auf schmutzigen Schnellstraßen, in trostlosen Ortschaften, deren Bestehen einzig durch die Existenz ersterer gerechtfertigt werden, an Flughafenausfahrten, Tankstellen… Alle Möglichkeiten stehen einem offen, hunderte Fahrzeuge rauschen ungerührt an einem vorüber und dann blinkt schließlich ein Wagen, fahrt links auf den Seitenstreifen. Polizisten in ihren Pick Ups, die uns vor fiktiven Attentätern im gefährlichen Süden des Landes warnen, Geschäftsleute in ihren geräumigen neuen Sportwagen, in sich gekehrte wortkarge Arbeiter in ihren rostigen Transportautos, deren Ladeflächen notdürftig abgedeckt mit im Wind knatternden Planen, gleichsam Werkzeuge, Arbeitsmaterial, Decken und Menschen Platz spenden, eingepfercht auf Rückbänken zwischen redseligen Mütterchen und zufriedenen Familienvätern, dessen Kinder im hintern Teil des Wagens mit Miniaturautos tödliche Verkehrsunfälle simulieren, und die im überfüllten Wagen ihren Ausflugszielen entgegenfahren.

Und dann ergibt sich urplötzlich eine Gelegenheit, durch die man sich durch Zufall in friedlichen Tempelanlagen wiederfindet, in deren man durch von Berghängen eingeschlossenen Urwäldern wandelt, in deren Schrägen kärgliche Hütten, Mönchen, deren löwenzahngelbe Kluften auf Wäscheleinen vor ihren Behausungen hängen, Unterkunft bieten und heimatlose Hunde um unsere Beine streifen, immer wieder im Dickicht verschwindend uns in treuer Gefolgschaft folgend, in denen man nach tausendzweihundert Stufen einen Ort betritt, an dem die Luft dünner und unverbrauchter die Sonne intensiver sind, und an dem man barfuß auf warmen Keramikplatten einem goldenen Buddha entgegentritt, der über dem Nebel der herumliegenden Berge und dichten Mangrovenwälder thront, weit entfernt verschwimmt das Blau des Meeres mit dem Horizont. Als einziges Geräusch, das sanfte Klingen des Glockenspiels und das Gemurmel des Windes im Ohr. Rauchend auf einer Steinbank auf sandigem Biden im Schattenunter einer Pagode, leicht bedösst von Mittagshitze, Nikotin Schlafmangel findet man ein Refugium der Ruhe, weitab vom Staub der Straße und den Abgasen der Motoren. Ao Nang ist ein klassischer Durchreiseort für Touristen, ein Sprungbrett, an dessen s förmiger Hauptstraße sich sterile Bars, anonyme Hotels, Subways, Geldautomaten Mc Donalds und profillose Boutiquen  aufreihen. Nach Mitternacht gleicht der Ort einer Geisterstadt, nur am Strand rösten Einheimische Fische auf Aluminiumgrills. Wir erreichen die Stadt bei Dunkelheit, Marmeladentoast am Strand, stummes Hinausblicken auf die langsam näher kommende Flut. Sturm peitscht die Brandung gegen den Peer, auf dem Bürgersteig sitzend mit einer Gruppe von jungen Männern Erdnüsse knackend…

Die Ersten Tage In Der Neuen Heimat…

15. September 2010 - 2 Antworten

 

Beim Aufwachen vernahm ich den vielfachen Klang der Muezzins, die von den Dächern der umliegenden Moscheen das Ende des Ramadan ankündigten. Draußen floss der Strom träge seinem Bestimmungsort entgegen, die Langboote, deren Positionslaternen, rote und weiße Punkte in der Schwärze der Nacht mich nach Untergang der Sonne als stumme Lebenszeichen im ewigen Platschen der Wellen mit einem letzten Aufleuchten zu grüßen pflegten bevor ich mich in die schützende Geborgenheit des Moskitonetzes stürzte dümpelten auf dem milchig grünen Wasser.

Seit gut einer Woche bin ich jetzt, unterbrochen durch einen dreitätigen Besuch in Klong Daen, an diesem friedvollen Ort. Ich beginne allmählich jedes Gefühl für Zeit, omnipräsente Konstante im europäischen Alltag, zu verlieren. In der Schwüle des thailändischen Nachmittags verschwimmen und wellen sich die Uhren wie auf einem Gemälde Dalís, man welkt im Schatten des Versammlungsraumes des Dorfes vor sich hin, dämmert sich, rauchend, damespielend,  thailernend, lesend zusammen mit den Einheimischen durch all die fluiden Minuten in denen die Luft zu stehen scheint. Oft gleicht der Tag einer kulinarischen Pilgerfahrt während dessen der Körper einzig mit der Aufnahme von Kaffee, ein braunes süßliches Gebräu, und Reis betraut wird, während der Geist, dahin dösend, Worten lauscht, die er nicht versteht.

Am Abend löst ein frischer Wind die klebrige Baumwollhaut vom Körper, trocknet der Schweiß auf dem eigenen Zellgewebe. Der durchdringende hohe Ton eines sich aus dem Kokon schälenden Insekts durchschneidet die Stille des frühen Abends, das Zirpen der Grillen, das Brummen der Motoren und die gemurmelten Gespräche der Männer bilden die Grundmelodie eines neuen Lebensgefühls. Lautstark beginnt der Fernseher Geräusche abzusondern. Geschichten einer Welt, in der die Sorgen der Protagonisten sich einzig und allein aus amourösen Verwirrungen speisen, in der materielle Sorgen keinen Platz haben. Unentwegt grinsende Nachrichtensprecherinnen zeugen von einer Wirklichkeit, die in scheinbar unendlicher Ferne liegt.

Erinnerungen aus den ersten Tagen in Hat Yai: Nachts auf dem Rücksitz eines Mofas durch die Stadt brausend, durch kleine Gassen in rasendem Tempo, auf dreispurigen Highways. Rechts und links fliegen weitere Zweiräder an einem vorbei, die Stadt vibriert unter dem Gewicht tausender  Fahrzeuge. Ich, den Duft dieses Körpers vivant einatmend: ein Geruch nach Kerosin, Reis, in fett gebratenem Fleisch, Schweiß und Tränen, inmitten dieses Chaos, auf dem Weg zum bunten Treiben eines Marktes.

Der Besuch alter Verwandter in Klong Daen: ein dreitägiges zivilisiertes Roadmovie von der West- zur Ostküste des Landes. Warten wird hier zur nicht unangenehmen Gewohnheit, zu einer Schule meditativer Gelassenheit. Unsere Reiseroute führte uns mit dem Pickup, auf der Einfassung der Ladefläche bis nach Lan Ngu, von dort aus weiter mit dem Minibus, Herzstück des lokalen public transport Netzes nach Hat Yai. Ich verbrachte die Fahrt über mit offenem Mund, schlafend auf einem der Plätze der Rückbank, in den Traum gelullt von dem Wehklagen einer, dem Popkosmos entsprungenen, asiatischen  Lorelei und den Ausdünstungen der anderen Fahrgäste: Bobby, Jakob und ich wie immer die einzigen farang, blasse Schatten inmitten von jungen Frauen mit bunten Kopftüchern und  gebräunten dunkelhaarigen Männern, deren sarongs mit farbenfrohen bunten floralen Stickereien verziert um ihre Beine schlackerten. Nach einem Zwischenstopp in Hat Yai, verbunden mit dem Ergreifen der seltenen Möglichkeit die Internetverbindung im DaLaa Office zu benutzen, folgt die Durchquerung der Innenstadt mit Hilfe eines der tuk tuk genannten Linientaxen. Vor einem der vielen kleinen Kramläden, die von Tabak bis Spülmittel die wesentlichen Ingredienzien des thailändischen Alltagslebens feilbieten, überbrücken wir die Wartezeit mit dem Auffüllen unseres Vitaminvorrats beim großen Fressen einer dieser saftigen roten Früchte, deren Namen zu lernen ich bis jetzt noch keine Zeit hatte. Nach zweistündiger Busfahrt, vorbei an dem größten See Thailands, vertäute Langboote, festgezurrt an den aus dem Wasser ragenden Pfählen, sowie glänzenden Tempeln und einer kurzen Mitfahrt per Anhalter versöhnt mich ein Ausruhen in der Hängematte und eine Zigarettenlänge mir Bobo mit dem Tag. Und wieder werden im Hintergrund die Akkorde einer Gitarre angeschlagen und  schmachtend dringt ein heuelendes, sich über dem Kanal  verflüchtigendes  „I sad yes, and you look wonderful tonight…“ an mein Ohr. Dem Abwasch, schweißbadendes Hin und Heer mit dem Spüllappen in einer orthopädisch verrufenen, gebückten Haltung auf einem spärlich mit Holzleisten bestückten Boden, im Schatten dessen Last, von Termiten zerfressene Möbeltrümmer, Werkzeug, ungespültes Geschirr, Asseln umher krabbeln, folgt ein von Wiedersehensfreude geprägtes Zusammen im Angesicht des ruhigen Wassers über dem schemenhaft der Flug von Fledermäusen zu beobachten ist. Ruhig liegen die Pfahlbauten der Häuser im Dämmerlicht der Straßenlaternen, unberührt vom Gelächter der Individuen, die sich in den schweren Holzstühlen herum lümmeln, Melodien vor sich hin summend, vertieft in ihre Lektüre oder sich über ihr bisheriges Dasein austauschend.

Seien sie ehrlich: Wie oft ihrem Leben haben sie jemals echte Spontanität bewiesen? In Thailand werden sie eines besseren belehrt: Da räkelt man sich noch träge in seiner Schlafstätte, klettert müde unterm Moskitonetz hervor und wird mit der Tatsache konfrontiert, das die persönliche Tagesplanung schon ohne seine eigene Kenntnis gestaltet wurde. Und eine halbe Stunde später findet man sich, ungewaschen, müde und hungrig auf der Ladefläche eines Vans und fährt der  entgegenkommenden Regenfront entgegen oder, deutlich erfreulicher, auf einem der aus Holz geformten, mit farbigen Fahnen bestückten Langboote, das dröhnende Geräusch des Dieselmotors in den Ohren, das nur übertönt wird vom Zirpen der Grillen im sich an den Ufern auftürmenden Mangrovenwald , unter der die Transpiration anregenden Tyrannei des wütenden Feuerballs am Himmel, auf dem Weg zu einer Insel an deren weißen Sandstrände sich azurblaue Wellen verlaufen.

Aber davon später.  An jenem Abend unserer Rückreise jedenfalls sollten wir, unserem späten Aufbruch geschuldet, in Hat Yai verweilen. Um drei Uhr nachts entdeckt der in seinen Träumen gestörte Nachbar zwei Schemen, seit einigen Stunden dort sitzend und Zigarette schmauchend  im Hinterhof des DaLaa Offices: Dialoge mit einem gläubigen Muslimen und der Erkenntnis, dass das menschliche Wesen von den selben Fragen umgetrieben wird, unabhängig von seinen Dogmen. Der Koran spricht von Vergebung und Gemeinschaft, von einem Zusammen in dem der Mensch nicht jedem Geschenk eine Forderung nach Gegenleistung nachschickt. Wie soll man die Verschiedenheit der beiden Aussagen verbinden, dass jedes être humain von Allahs abhängig ist dessen Wollen über seine Existenz entscheidet, zum anderen aber jeder Mensch die Freiheit zu handeln besitzen muss, weil sonst Moralgesetze überflüssig würden? Das Verbot zum Selbstmord und die Pflicht zur Hilfe der Mitmenschen jedes Anhängers des Islams, trotz dieser Dependenz durch Gott sind eine der wenigen Prämissen, unter die auch der fatalistische Freigeist, als den ich mich immer noch verstehe, den Sinn seiner Existenz stellen muss.

Kommen wir zurück zu jenem Tag nach unserer Ankunft an dem Flo, Ikone des internationalen Freiwilligendienstes, Volontär per exellence und Objekt der Begierde der gesamten mit zwei X-Chromosom im Genstrang versehenden Bevölkerungsgruppe in Kok Payom, verabschiedet wurde. Ein sympathischer, in sich ruhender, ausgeglichener junger Mann, doch das änderte nichts an dem Faktum, dass ich ihn an jenem Tag an die dutzend Mal verwünschte. Zusammengekauert auf der Ladefläche eines Verkehrsmittels, dessen vitesse jeden Regentropfen in einen schmerzhaften winzigen Eiskiesel verwandelte, spärlich geschützt durch die Fahrerkabine rasten wir durch eine Wasserfront nach der anderen. Schließlich flüchteten wir uns, der Apokalypse knapp entkommen in den Bahnhof, dessen Pforten uns erst nach einem dreistündigen Wettstreit im gemeinschaftlichen Zähneklappern nach der Abfahrt Flos entließen. Was folgte war eine erneute Irrfahrt durch abgründiges Schwarz , vorbei an den selben ununterscheidbaren Bergen, Palmen und kleinen Buden, während der beißende Wind den Körper auskühlte und das glühende Ende der Zigarette zum einzigen hoffnungsvollen Anhaltspunkt im uferlosen Nichts wird. Herzlich Willkommen!